Unser nächster Stellplatz ist nur rund 50 Kilometer entfernt und wir starten heute etwas später. Es ist Sonntag und wir sind schließlich nicht auf der Flucht. Wir fahren entlang des Lacul Bicaz – dem größten innerhalb Rumäniens gelegenen Stausee. 40 Kilometer lang und rund 2 Kilometer breit speichert er bis zu 1.250 Millionen Kubikmeter Wasser. Immer wieder halten wir an, um die sich bietenden Aussichten zu genießen. Uns fällt hier zum ersten Mal auf, dass der Wasserspiegel einige Meter unterhalb der eigentlichen Uferkante liegt. In diesem Moment war uns noch nicht klar, dass sinkende Wasserstände ab sofort Teil unserer Reise sind. 2022 gilt als ein Dürrejahr in Europa.
Schon Monate vor der Reise haben wir aufgehört, Nachrichten zu sehen oder zu hören. Wir lesen keine Zeitungen und hören kein Radio. Alles was wir über die aktuelle Lage wissen, schnappen wir gewissermaßen nebenbei auf: im Gespräch mit anderen Reisenden oder beim recherchieren im Internet. Das mag für manche leichtsinnig erscheinen, uns tut dieser Nachrichten-Entzug gut und wir können uns ganz auf das hier und jetzt einlassen.
Unseren heutigen Schlafplatz finden wir am Lacul Bâtca Doamnei. Er wird aus dem Bicaz-Stausee gespeist und hat eine Fläche von 240 Hektar. Als wir ankommen, steht schon ein LKW aus Deutschland auf dem Platz. Silke übernimmt wie immer die erste Kontaktaufnahme. Es sind Ruth und Wolfgang mit ihren zwei Hunden. Mit den beiden verstehen wir uns auf Anhieb. Schnell holen wir Tisch und Stühle aus unseren „Kellern“ und verbringen plaudernd und mit viel Spaß einen wunderbaren Abend.
Am nächsten Tag trennen sich unsere Wege leider schon wieder. Die beiden haben eine ziemlich lange Tagesetappe vor sich und packen schon sehr früh ihre sieben Sachen. Nachdem sie losgefahren sind, frühstücken wir in Ruhe, bevor es auch für uns weitergeht. Die Route führt uns weiter gen Norden durch die bezaubernde Moldau-Region. Sie grenzt im Osten an die Republik Moldau . Mit jedem Kilometer in diese Richtung nähern wir uns allmählich der ukrainischen Grenze. Und wir entdecken die Klöster als Übernachtungsplätze für uns. Sie sind ruhig gelegen und verfügen oft über eine Trinkwasserquelle. So zum Beispiel die Einsiedelei Vovidenia, einem Rückzugsort für Mönche des Klosters Neamt, die nach mehr Ruhe und Frieden suchen.
In der Nähe der Einsiedelei liegt das letzte Wohnhaus von Mihail Sadoveanu, einem bedeutenden rumänischen Schriftsteller. Es ist heute ein Museum, das einen Einblick in das Leben und Werk des Schriftstellers und in die kulturelle Geschichte Rumäniens bietet. Uns sagt der Name nichts aber es scheint beliebt zu sein angesichts der Busse, die vor dem Museum halten und ganze Schulklassen entlassen.
Am nächsten Tag besuchen wir das Kloster Neamț, eines der ältesten rumänisch-orthodoxen Männerklöster des Landes. Wir sind nicht die einzigen mit dieser Idee, das Kloster ist gut besucht.
Nicht weit vom Kloster Neamț liegt die Biserica Sfântul Ioan Iacob, eine neu gebaute und erst im Jahr 1997 geweihte Kirche. Hier sind wir allein und bestaunen das zwischen 1998 und 2003 entstandene farbige Gemälde an der Außenfassade.
Das nächste Kloster – Sucevița – befindet sich dann schon im südlichen Teil der Bukowina, einer der nördlichsten Gebiete Rumäniens. In der gleichnamigen Gemeinde finden wir einen Platz auf dem Camping Cristal. Hier sind wir die einzigen Gäste - eine Auswirkung des nahen Krieges. Die Zahl der Urlauber ist in diesem Jahr merklich zurückgegangen.
Das Kloster Sucevița gehört zu den acht Moldauklöstern, die 1993 und 2010 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Der Bau ist eine Mischung aus byzantinischen und gotischen Elementen und wurde zwischen 1582 und 1584 errichtet. Es ist das einzige der acht Moldauklöster, dessen Wandmalereien im Innen und Außen noch heute fast vollständig erhalten sind.
Die Rezeptur der Farben, die vor rund 400 Jahren auf die Mauern des Klosters aufgetragen wurden, konnten bis heute nicht rekonstruiert werden.
Die Anlage, in deren Mitte die Kirche steht, ist ein Quadrat von rund 100 Metern Länge auf jeder Seite. Um sie herum wurde eine 6 Meter hohe und 3 Meter dicke Außenmauer errichtet, in deren Ecken Wehrtürme eine weitere Verteidigungsanlage bilden. Das Kloster ist ein noch heute aktives Frauenkloster. In den Mauern ist heute ein Museum untergebracht, in dem kirchliches Silbermobiliar, Bücher und Manuskripte ausgestellt sind.
Die Moldauklöster wurden von Stefan dem Großen (Stefan cel mare) und seinen Nachfolgern gegründet. Die Überlieferung besagt, dass Stefan der Große als Dank für den göttlichen Beistand für jeden Sieg auf dem Schlachtfeld ein Gotteshaus errichten wollte. Durch die Siege über die Polen, Türken und Ungarn entstanden im Laufe der Zeit ca. 40 Kirchen und Klöster in der Nähe seines Hauptsitzes Suceava.
Die Nacht verbringen wir an einem – für uns – namenlosen Kloster. Am Morgen erwachen wir umgeben von einer sehr mystischen Athmosphäre.
Für uns geht es noch weiter nach Norden in die Maramureș.
03. – 06. Juli 2022