Die vergangene Nacht war ziemlich unruhig. So schön die Aussicht war, so leicht hatte es der Wind, uns zu umtosen. Die kleinen Olivenbäume wurden ordentlich durchfegt und auch Laika schüttelte es immer wieder kräftig. So lange wir damit beschäftigt waren, unser Abendessen zu kreieren (Spaghetti mit Oliven, Salami, Mais und Zucchini in Tomatensauce) hat es uns nicht gestört. Doch kaum lagen wir im Bett, konnten wir uns sehr gut auf das tosen und rütteln konzentrieren. Es erinnerte an unsere Nacht an den drei Zinnen in den Dolomiten. Damals stürmte der Wind auch die Bergflanke rauf und schüttelte uns ordentlich durch. Für mich verlief die Nacht dann auch sehr unruhig und irgendwann hab ich mein Buch genommen und bin ins Amerika des 19. Jahrhunderts geflohen.
Am nächsten Morgen beruhigte sich der Sturm langsam und wir brachen auf Richtung San Gimignano.
Manhattan des Mittelalters – San Gimignano
San Gimignano wird heute als das Manhattan des Mittelalters bezeichnet. Die Silhouette der Stadt wird von 14 Türmen bestimmt – Überreste der Wohn- und Verteidigungstürme adliger Familien. Zu ihren besten Zeiten gab es 74 dieser Türme in der Stadt – angesichts des vorhandenen Platzes kaum vorstellbar.
Die Rivalität zwischen den Adelshäusern zeigte sich vor allem in der Höhe des jeweiligen Turms. Dieser Höhen-Wettstreit muss zum Teil so bizarre Ausmaße angenommen haben, dass irgendwann auch die Statik versagte. Um dem Einhalt zu gebieten, verfügte der Rat der Stadt, dass kein Turm höher sein darf, als der Torre Grossa. Er kann heute als einziger besichtigt werden.
Beim Bummel durch die Stadt kommen wir an der „Galeriacontinua“ vorbei. Da ihre Türen offen sind, schauen wir neugierig hinein. In diesem Moment verlassen zwei Menschen die Galerie und legen uns den Besuch sehr ans Herz – „it´ s really worth it“ und „it´ s mindblowing“ haben uns überzeugt. Aktuell gibt es die Ausstellungen von Hans Op de Beek und Carlos Caraicoa. Und was soll ich sagen – es hat sich gelohnt. Carlos hat Straßenkünstler aus aller Welt einzeln per Video aufgenommen und sie zu einer Gesamtkomposition vereint. Hans Op de Beek formt Alltagssituationen, die dem Betrachter genug Spielraum lassen, die Geschichte dahinter selbst zu interpretieren.
10. November 2021