Knapp zwei Stunden quer durch den Kosovo brauchten wir, um vom Kloster zur Tropfsteinhöhle zu gelangen. Jetzt fahren wir die Hälfte der Strecke wieder retour, um unser nächstes Ziel zu erreichen: die Mirusha-Wasserfälle.

Kosovo ist ein kleines Land mit nur rund 1,8 Millionen Einwohnern. Für viele davon hat sich nach dem Ende des Kosovo-Krieges der Wunsch nach einem besseren Leben in ihrer Heimat nicht erfüllt. Deshalb leben und arbeiten heute rund 420.000 Kosovaren im Ausland, um für sich und ihre Familie bessere Chancen zu haben. Dabei ist die Abwanderung vor allem in höher qualifizierten Berufsgruppen – zum Beispiel bei den Ärzten – dramatisch hoch.

Dazu kommt der noch immer schwelende Konflikt mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennt. Immer wieder gibt es Streitigkeiten an den Grenzen und zum Teil nicht nachvollziehbare Regelungen zwischen beiden Ländern. So leben vor allem im Norden des Kosovo serbische Kosovaren, die die staatlichen Behörden des neuen Landes nicht anerkennen. Deshalb nutzen sie in Serbien ausgestellte Kfz-Nummernschilder, die im Kosovo ungültig sind. Immer wieder hat dies zu Unruhen an der serbisch kosovarischen Grenze geführt. Dieser Konflikt scheint heute zwar beigelegt zu sein, die Spannungen zwischen beiden Ländern lassen aber nicht nach.

Kosovo
Kosovo

Wir können uns frei in diesem Land bewegen und finden immer mehr Gefallen an der Schönheit der Landschaft. Doch wir können auch nicht ganz den vergangenen Krieg aus unseren Köpfen verbannen. Die meisten Orte bestehen aus neu errichteten Häusern, die uns sehr an unsere Heimat erinnern. Zerstörte oder beschädigte Häuser sehen wir nur selten, vieles ist vermutlich abgerissen und neu aufgebaut worden. Immer wieder fragen wir uns, wie es vor dem Krieg hier ausgesehen hat. Und uns wird bewusst, welches Glück wir mit unserer friedlichen Revolution vor inzwischen mehr als 30 Jahren hatten.

Wir erreichen die Mirusha-Wasserfälle, eine der schönsten Ziele im Kosovo. Auf 10 Kilometern stürzt sich der gleichnamige Fluss in 16 Wasserfällen durch eine von ihm selbst gegrabene Schlucht. Zwischen den Wasserfällen liegen 13 kleinere Seen. Es ist möglich, die Schlucht zu durchwandern, was wir auch ein Stück versuchen. Dafür dürfen wir zuerst die Felswand erklimmen.

An einigen Stellen sind Trittstufen in den Fels geschlagen, an anderen können wir uns an Seilen an der Wand festhalten. Das ist gut so, denn der Weg ist nicht immer eben und führt manchmal nur auf einem schmalen Vorsprung entlang. Die sich mit jedem Schritt verändernden Aussichten machen aber jede Anstrengung sofort wieder wett.

Der Weg nach oben ist sehr steil. Manchmal bieten lediglich Äste und Gräser etwas Halt an der steilen Wand. Je weiter wir kommen, desto dankbarer sind wir für die in die Wand geschlagenen Seile. Und wir fragen uns, wie wir da je wieder herunter kommen sollen. Die Vorstellung flößt uns großen Respekt ein.

Doch noch verschieben wir die Gedanken auf später und lassen uns Zeit beim erkunden. Am letzten Wasserfall, den wir erreichen, bleiben wir ein paar Minuten einfach nur sitzen und schauen. Gegenüber sind weitere Seile und Stufen im Felsen, die zeigen, wo der Pfad weiterführt. Und auch wenn es sehr verlockend ist, entscheiden wir uns, umzukehren. Wir wissen nicht, wie lang die Strecke noch ist und der Tag ist schon weit fortgeschritten. Also lösen wir uns von diesem Anblick und gehen zurück. Was uns auf dem Hinweg schon sehr steil erschien, ist jetzt eine echte Herausforderung. An manchen Stellen ist es so abschüssig, dass wir auf allen vieren nach unten rutschen. Wir sind froh, als wir endlich wieder festen Boden unter unseren Schuhen haben.

Ein paar Kilometer entfernt vom Wasserfall biegen wir auf den Hof eines Restaurants, dass idyllisch an einem Fluss liegt. Sofort kommt der Besitzer auf uns zu und weist seine Angestellten an, uns beim einparken zu helfen. Dann zeigt er mit großer Geste auf seinen Laden. Dieser Einladung folgen wir dann auch, genießen ein sehr schmackhaftes Abendessen und am nächsten Morgen ein gutes Frühstück in idyllischem Ambiente.

Weiter geht es nach Prizren. Und hier lernen wir, dass es auf einem übervollen Parkplatz immer noch Platz für ein Wohnmobil gibt. Der Parkwächter ist sehr emsig, für uns eine Nische zu finden. Aus unserer Sicht ist der gewählte dann zwar zu kurz für Laika aber er winkt uns so lange, immer noch ein Stückchen weiter nach vorn zu rollen, bis wir nur Zentimeter von der Baumrinde entfernt stehen bleiben. Wir vermuten, dass er auf eine gute Einnahme spekuliert, wenn wir hier über Nacht stehen bleiben. In unserer App haben wir gelesen, dass die ersten drei Stunden kostenfrei sind und das übernachten drei Euro kostet. Doch der Parkwächter will gleich beim aussteigen zehn Euro von uns haben. Wir aber bleiben skeptisch, denn niemand um uns herum zahlt etwas. Als wir Anstalten machen, uns einen anderen Platz zu suchen, winkt der Mann ab und zieht grummelnd von dannen. Und wir laufen in die nahe Innenstadt.

Marktplatz

Prizren ist mit über 85.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Kosovo. Die ersten Gebäude, die wir sehen, sind neu gebaut. Einige davon mehrstöckige Hochhäuser. Doch in der Innenstadt hat sich entlang des Flusses  Bistrica e Prizrenit ein historischer Kern erhalten.

Beeindruckende Elektriker-Arbeit.

Wir bummeln durch die Altstadt, bewundern die aus osmanischer Zeit erhaltenen Häuser und genießen das bunte Treiben um uns herum. Direkt am Fluss haben einige Restaurants ihre Schirme aufgespannt. Es ist gut besucht aber wir finden einen Platz direkt an der Flussmauer und lassen den Trubel um uns herum auf uns wirken.

Stadtbummel
Blick auf Altstadt und Moschee

Irgendwann haben wir keine Lust mehr auf viele Menschen und laufen zurück zu unserem rollenden zu Hause. Der Parkplatz hat sich geleert und auch die Parkwächter sind nicht mehr zu sehen. Ohne auch nur einen Cent zu zahlen, können wir Prizren wieder verlassen. Uns treibt es raus aus den Städten. Anschauen ja aber übernachten wollen wir nicht. Wir suchen die ruhigen Ecken. Weiter oben, so zeigt uns die App, liegt ein ruhiger Stellplatz. Wieder einmal muss Laika Serpentinen fahren, um einen recht steilen Berg zu erklimmen. Und sie meistert es wie immer mit Bravour und Ausdauer. Auch wenn sie letztlich nur ein Auto ist – für uns ist sie die Heimat, die wir immer dabei haben. Und sie ist zuverlässig an unserer Seite.

Unten im Tal liegt Prizren

Überall in diesem Land begegnen wir Denkmälern für die Kämpfer der UCK, die Befreiungsarmee des Kosovo. Offiziell aufgelöst, scheint sie nach wie vor präsent zu sein im Land. Wie auch auf den Friedhöfen, sind die Tafeln in den Denkmälern mit Fotogravuren versehen. Sie zeigen die Gesichter der Menschen. Für uns bedeutet es, dass wir das Grauen des Krieges unmittelbar spüren, ihm fast ins Auge sehen. Wie schon in Junik, als wir vom persönlichen Schicksal Sahids und seiner Familie erfuhren, rückt dieser Teil der Geschichte des Balkan nah an uns heran. Und wird uns auf dem Rest dieser Reise nicht wieder loslassen.

Denkmal für die Kämpfer der UCK – vier davon sind ein Vater und seine drei Söhne

Unsere Heimat für diese Nacht liegt gleich am Denkmal neben einer wenig befahrenen Straße. Uns gefällt es im Kosovo. Das Land ist üppig von Wäldern bedeckt und in der Ferne sehen wir sogar noch Schneereste auf den Bergspitzen.

Stellplatz am Denkmal
In Prizren wurde ein Teil des Blinkers beschädigt. Zum Glück gibt es Panzertape.
Mit dieser Aussicht einschlafen.

11. – 12. Mai 2022