Während unseres Aufenthalts im Februar in Kalamata lernten wir ein Paar aus Rumänien kennen. Sie haben uns zu sich nach Hause eingeladen. Da sie gerade in Bukarest sind, bieten sie uns an, sie dort zu besuchen. So kommen wir zu einem Abstecher in die Metropole, die ursprünglich gar nicht auf unserem Plan stand.
Als wir ankommen, tragen die Kirschbäume auf ihrem Grundstück schwer an ihren Früchten. Wir bieten an, als „billige Helfer aus dem Westen“ bei Ernte und Verarbeitung zu unterstützen. Wir sind dankbar, zentral in Bukarest sicher unterzukommen. Zwei Tage verbummeln wir, helfen beim einkochen, reden und lachen viel. Am dritten Tag machen wir uns auf in die Stadt. Wir wollen uns den „Palast des Volkes“ anschauen – nach dem Pentagon in Washington das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt. Es ist sehr umstritten bei den Rumänen, denn sie verbinden viel Leid und Elend mit ihm.
Als wir aus der Metrostation Izvor die Treppen wieder ans Tageslicht steigen, sehen wir ihn zuerst nicht. Ein bisschen orientierungslos durchstreifen wir den Park, der uns noch von ihm trennt. Dann weichen die Bäume und wir sehen den riesigen Koloss auf seinem Hügel.
Wir haben online Tickets bestellt für eine Führung. So ganz eindeutig ist es nicht, wo genau hier der Eingang ist. Dieser scheint für die Mitarbeiter des Parlaments zu sein. Wir vermuten den Besuchereingang auf der anderen Seite. Da wir noch etwas Zeit haben, spazieren wir die rund 900 Meter zum anderen Ende des Gebäudes.
Nur um dort von einem freundlichen jungen Mann zu hören, dass sich der Eingang genau gegenüber – also an unserem Ausgangspunkt befindet. Jetzt ist die Zeit schon etwas fortgeschritten, so dass wir zügig den Weg zurücklegen und dabei ein bisschen ins schwitzen kommen. Die Sonne meint es heute besonders gut mit uns.
Als wir ankommen, haben wir sogar noch etwas Zeit und beobachten die ein- und ausgehenden Parlamentarier, bis wir für die Besichtigung aufgerufen werden.
Der „Palast des Volkes“ wurde von 1983 bis 1989 errichtet von Anca Petrescu, einer damals 26-jährigen Architektin, die gerade mit ihrem Studium fertig war. Sie setzte die Vorstellungen des damaligen rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceaușescu um. Dieser hatte auf einer Reise nach China und Nordkorea den dort herrschenden Personenkult erlebt und wollte dies für sich in Rumänien ebenfalls umsetzen.
Vermutlich hat das Erdbeben von 1977, bei dem viele Gebäude in Bukarest beschädigt oder eingestürzt waren, sein Vorhaben begünstig. Er wollte „etwas Großes“ haben. Teile der Altstadt wurden zwangsgeräumt, historische Wohnhäuser, ein Dutzend Kirchen und drei Synagogen abgerissen. Bukarests Ruf als „Paris des Ostens“ erlitt schweren Schaden.
Die reinen Zahlen zeigen die Größe der Vision: der Palast ist 275 Meter lang und 235 Meter breit. Auf 65.000 Quadratmetern Grundfläche beherbert er 5.100 Räume, davon 3.000 Zimmer, 30 Konferenzsäle, zahlreiche Flure und Hallen. Er ist in 12 oberirdische und 8 unterirdische Stockwerke aufgeteilt, eines davon ein Bunker. Die größte Galerie ist 150 Meter lang, der größte Saal 16 Meter hoch und 2.200 Quadratmeter groß. Mit 4,1 Millionen Tonnen steht er als das schwerste Gebäude der Welt im Guinnes Buch der Rekorde.
Für den Bau wurde vor allem heimisches Material verwendet: so unter anderem 1.000.000 m³ Marmor aus Siebenbürgen, 900.000 m³ Holz – Walnuss, Eiche, Kirsche, Ulme, Platane, Ahorn – 3.500 Tonnen Kristall für 480 Kronleuchter, Deckenleuchten und Spiegel, 700.000 Tonnen Stahl und Bronze für Türen, Fenster und Kronleuchter und 200.000 Quadratmeter gold- und silberbestickte Samt- und Brokatvorhänge.
Rund 20.000 Arbeiter, vor allem Militärangehörige und 700 Architekten errichteten den Palast, teilweise rund um die Uhr. Der Bau verschlang dabei nach heutiger Schätzung umgerechnet mehr als 3 Milliarden Euro, rund 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Rumäniens.
Bei unserer gut zweistündgen Führung haben wir nur rund sechs Prozent des Gebäudes gesehen. Sicher die repräsentativsten aber irgendwie auch wahnwitzigsten Seiten.
Nach dem Sturz des Regimes 1989 gab es hitzige Diskussionen, was mit dem Mammutbau geschehen soll. Nach zahlreichen Debatten entschied man sich, den noch unvollendeten Palast fertigzustellen. Neben dem Parlament beherbergt er heute auch eine internationale Zoll- und Polizeiorganisation und das Nationalmuseum für moderne Kunst.
Er hat sich zu einem beliebten Tourismusmagneten entwickelt doch der Bau ist untrennbar mit viel Leid und Elend verbunden. Nicht nur wurden zahlreiche Menschen zwangsumgesiedelt, wichtige Ressourcen für die Menschen im Land wurden hier verschwendet. Er steht für die Politik Ceaușescus, die er brutal mit seiner Geheimpolizei durchsetzte. Er steht aber auch für das Elend der Menschen, die weltweit nach der Wende Schlagzeilen machten und das Bild von Rumänien für lange Zeit prägten.
Wir sind froh und dankbar, dieses Land heute kennenzulernen. Was wir bisher gesehen haben, kann leicht mit anderen europäischen Ländern mithalten.
13. – 16. Juni 2022