Wir haben uns sehr wohl gefühlt bei Matt und können seinen kleinen Platz wärmstens empfehlen. Jeden Tag besuchte uns seine alten Hündin. Mit umgerechnet rund achzig Jahren, Arthritis in den Knochen und wackelig auf den Beinen drehte sie jeden Morgen und jeden Abend ihre Runden über den Hof. War sie unterwegs, klingelte ein kleines Glöckchen um ihren Hals. Mit Hilfe dieses klingelns wußte jeder Bescheid, wo sie sich gerade befand. Und konnte ihr Platz machen, wenn sie sich näherte. Ein bisschen erinnerte es an einen alten Menschen. Sie wollte ihre Ruhe und ihr war auch nicht nach Streicheleinheiten. Sie drehte ihre Runden, schnupperte nur manchmal und wenn es ihr zuviel wurde, zog sie sich zurück an einen ruhigen Ort. Matt lies sie einfach machen. Und wir taten es ihm gleich.
Nach einer sehr erholsamen Zeit ziehen wir weiter. Es ist Brutzeit und überall sehen wir riesige Storchennester – vor allem auf Strommasten. Als ich noch klein war, fuhren wir oft zu meiner Familie in die Lausitz. Schon damals war ich fasziniert von den riesigen Nestern, in denen die Storcheneltern ihre Jungtiere aufziehen. Damals nisteten noch viele Störche entlang der Hauptstraßen durch die langgezogenen Dörfer. Was ich nicht wusste: ihre Horste werden sogar als Mehrfamilienhäuser genutzt. Uns fallen viele kleinere Vögel auf, die sich innerhalb der zum Teil meterhohen Konstruktionen ihre Nester gebaut haben. Es sind vermutlich vor allem Sperlinge und Stare. Und während der schwarz-weiße „Vermieter“ gelassen auf seinem Horst steht fliegen seine „Untermieter“ emsig ein und aus.
Diese Nacht verbringen wir auf einem offiziellen Stellplatz – an der Marina von Kraymorie. Und hier treffen wir ein bulgarisch-russisches Pärchen, mit denen wir uns – dank ihrer Deutschkenntnisse ein wenig unterhalten. Sie waren ein paar Tage mit ihrem Wohnmobil unterwegs und wollten vor ihrer Ankunft zu Hause ihre letzte Nacht noch einmal an der Marina verbringen.
Wir sehen auf der Karte einen weiteren Naturpark und beschließen, dorthin zu fahren. Er liegt auf dem Weg zum schwarzen Meer und als Naturpark hat er gleich eine Anziehungskraft auf uns. Die ersten Kilometer beginnen vielversprechend. Dichter Wald, Flüsse – Natur um uns herum.
Am nächsten Tag führt uns unser Navi auf die Verbindungsstraße 908 Richtung Küste (auf der Karte im nächsten Bild rot umrahmt). Nur kurz danach werden wir angehalten. Eine Polizeistreife fragt, wohin wir wollen und bittet uns, die Seitentür zu öffnen. Wir wundern uns zwar, machen aber die Tür auf. Nach einem kurzen Blick hinein dürfen wir weiterfahren. Uns kommt das zwar etwas komisch vor aber wir denken uns nichts dabei und fahren weiter.
Nach nur wenigen Kilometern wird die Straße zunehmend schlechter und die Schlaglöcher tiefer. Sehr langsam und im Zickzack fahren wir weiter und versuchen, die größeren Schlaglöcher zu umfahren. Das gelingt mal mehr und mal weniger gut. Wenn es so weitergeht wird die Fahrt zur Küste zur Tagestour.
Nach rund zwanzig Kilometern verengt sich nicht nur die Straße, jetzt kommen auch die Bäume auf beiden Seiten immer näher. Wir stehen plötzlich mitten im Dickicht – auf einer offiziellen Straße. Gleich darauf schauen wir fassungslos den Pickup an, der direkt vor uns zum stehen kommt.
Dessen Türen öffnen sich und heraus steigen uniformierte Grenzer: ein mit einer MP bewaffneter Mann und eine Frau. Sie lässt den Schäferhund aus dem Auto springen und kommt – die Hand am Holster – vorsichtig auf uns zu. Die beiden anderen warten beim Pickup. Wieder fordert man uns auf, die hintere Tür zu öffnen. Nach einem kurzen Blick entspannen sie sich merklich und gehen zurück zu ihrem Wagen.
Der Fahrer gibt uns mit Handzeichen zu verstehen, dass wir stehenbleiben sollen. Danach schiebt sich der Wagen durch Äste und Zweige im Millimeter-Abstand an uns vorbei. Wir bleiben noch einen Moment sprachlos stehen, dann entscheiden wir umzudrehen. Wir wissen nicht, wie die Straße weitergeht und wollen kein unnötiges Risiko eingehen. Ein paar Meter fahren wir noch, dann weichen die Bäume und geben die Straße wieder frei. Sie ist sogar geeignet, um in drei Zügen zu wenden.
Nur wenige Minuten später treffen wir die Grenzer noch einmal. Sie stehen an einer der zahlreichen Quellen und spritzen sich das kalte Wasser ins Gesicht. Als sie fertig sind, grüßen sie uns und fahren mit dem Pickup davon.
Wir haben unterschätzt – oder besser nicht daran gedacht – wie nah wir der türkischen Grenze sind. Sie ist gleichzeitig eine EU-Außengrenze und damit besonders stark bewacht. Heute ist uns klar, dass sie nach Flüchtlingen suchen, die illegal nach Europa wollen. So ein Wohnmobil wäre prinzipiell gut geeignet. Vermutlich haben sie aber gesehen, dass wir eher in die Kategorie blauäugige Urlauber gehören als in die Kategorie Schlepperbande.
Als wir wieder zum Ausgangspunkt der Straße 908 kommen, bleiben wir am Straßenrand stehen, um über die neue Route zu beraten. Die Polizist, der uns schon bei der Einfahrt kontrolliert hat, kommt auf uns zu. Er scheint sich an uns zu erinnern und vielleicht hat er sogar auch schon die Geschichte aus Grenzersicht gehört. Mit einem breiten grinsen im Gesicht und ein paar Brocken englisch empfieht er uns, die gelb markierte Straße weiter zu fahren. Gegen diesem Rat haben wir kein vernünftiges Argument.
28. – 29. Mai 2022