Dies ist mein Beitrag zur Blogparade 2024. Thema: „Was ich auf Reisen (über mich) gelernt habe“ von Julia Pracht. Vielen Dank für die Inspiration!
Im Oktober 2021 starteten wir zu unserer ersten Langzeitreise – ein Jahr mit dem Wohnmobil durch Südeuropa und den Balkan. Ursprünglich wollten wir Südamerika von Süd nach Nord durchqueren. Corona und die Vernunft machten diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. Also blieben wir auf europäischem Boden: nicht zu weit weg, um bei Bedarf jederzeit nach Hause zu können aber für uns noch weitgehend unbekanntes Gebiet.
Um uns optimal auf die Langzeitreise vorzubereiten, verbrachten wir Stunden vor dem Computer und schauten Youtube-Videos, DIY-Tutorials zum Camper-Ausbau und Inspirationen für die Ausstattung an. Wir machten uns auf die Suche nach Packlisten, wichtigen Informationen und Reiserouten. Wir lasen Unmengen an Büchern und Reiseblogs. Nach langer Suche – 2020 und 2021 war der Camper-Markt wie leergefegt – fanden wir unser Wohnmobil, das zu unserem rollenden zu Hause werden sollte. Insgesamt drei Jahre vergingen so für die Vorbereitung zwischen der ersten Idee und unserem Aufbruch.
Schließlich kündigten wir die Wohnung, verkauften unser Auto und viele Möbel. Was unbedingt bei uns bleiben sollte, lagerten wir ein. Ende Oktober 2021 drückten wir ein letztes Mal unsere Lieben daheim. Dann starteten wir den Motor und die Reise begann.
Viel zu schnell unterwegs
Auf eine Langzeitreise aufzubrechen ist etwas komplett anderes als „nur“ Urlaub zu machen. Das haben wir aber erst mit der Zeit verstanden. In den ersten Wochen rasten wir durch die Schweiz und anschließend durch Italien. An den meisten Orten verbrachten wir nur wenig Zeit. Wie getrieben fuhren wir von einem Ort zum nächsten, oft verbrachten wir nur eine Nacht dort und fuhren am nächsten Tag schon wieder weiter. Dieses „Bloß nichts verpassen“-Gefühl war anstrengend und wir waren schon nach kurzer Zeit so voll von Eindrücken, dass wir nichts mehr wirklich aufnehmen konnten. Bis wir am südlichen Zipfel Apuliens, an der italienischen Stiefelhacke die Reißleine zogen.
Stopp.
Bis hier und erst einmal nicht mehr weiter.
Für zwei Wochen mieteten wir uns auf dem Campingplatz „Torre Sabea“ in Gallipoli ein. Seit unserer Abfahrt waren reichlich sieben Wochen vergangen. Zeit für ein Reset, für Reflexion und Planung. Zeit, es ruhiger anzugehen, durchzuatmen und noch einmal neu zu starten.
Der Campingplatz machte es uns leicht. Von viel Grün umgeben, fühlten wir uns wohl. Und das Meer rauschte gleich hinter dem Eingangstor. Zwei Wochen, in denen unser Körper und unser Geist sich beruhigen konnten. Zwei Wochen, in denen wir am Morgen wussten, wo wir abends schlafen würden.
Hier haben wir uns eine Auszeit gegönnt. Haben gelesen, mit den Nachbarn geplaudert und kurze Ausflüge nach Gallipoli und in die Umgebung gemacht. Nach einigen Tagen kam die Reiselust zurück, die wir in der Hektik der vorherigen Fahrt fast schon verloren hatten.
Zu wenig Zeit an einem Ort
Obwohl wir nach ein paar Wochen gelernt hatten, die Geschwindigkeit zu reduzieren, haben wir dennoch an manchen Orten immer noch zu wenig Zeit verbracht. Wir hätten noch tiefer eintauchen können in die Welt, in der wir unterwegs waren. Mit dem Wohnmobil zu reisen heißt auch immer, flexibel zu sein. Die Zelte abzubrechen, wenn irgendetwas vielleicht nicht so stimmig ist. Doch wie wäre es, längere Zeit an einem Ort zu verbringen? Vielleicht einen Monat oder ein halbes Jahr? Ein Zimmer oder ein Haus zu mieten und unter den Menschen zu leben? Einkaufen gehen, spazieren, im Café sitzen oder bei Festen dabei sein? Das ganz normale Leben an einem ganz normalen Ort. Wäre es dann möglich, ins Gespräch zu kommen? Könnte man dann das Wahrhaftige des Ortes spüren? Könnte man dann in einen echten Kontakt mit den Menschen und ihren Geschichten kommen?
Wir haben auf der Reise wunderbare Menschen getroffen. Einige verbrachten nur ein paar Stunden in unserem Leben, mit anderen haben wir heute noch Kontakt. Die meisten sind jedoch Reisende. Menschen, die wie wir mit dem Wohnmobil unterwegs waren oder sind. Meistens blieben wir so unter uns, in unserer eigenen „Vanlife-Bubble“.
In Rumänien durften wir ein bisschen reinspüren in das echte Leben. Auf dem Campingplatz in Kalamata lernten wir ein rumänisches Paar kennen, dass uns einlud, sie in in Rumänien zu besuchen. Und als es so weit war, parkten wir unser Wohnmobil in ihrem Hof und verbrachten Zeit mit den beiden. In dem so entstandenen wertvollen Austausch lernten wir einiges über die Herausforderungen des Landes. Wir erfuhren viel über Rumänien, das uns aus heutiger Sicht auf der Reise am nachhaltigsten beeindruckt hat. So hörten wir unter anderem das erste Mal davon, dass die weiten Wälder der Karpaten skrupellos abgeholzt werden für westlichen Kommerz. Eine breite Schneise der Zerstörung wird nicht nur in das Herz Rumäniens geschlagen. Hier gehen das Herz und die Lunge Europas peu á peu verloren.
Eine besondere Begegnung erlebten wir auch im Kosovo. Wir fanden Unterschlupf im Garten einer jungen Familie, die von einer besseren Zukunft träumt. Sie erzählen uns von der Zeit ab 1999, als im zerbrochenen Jugoslawien Kriegsherde aufflammen. Sie haben am eigenen Leib erfahren, was Krieg wirklich bedeutet und wie er Körper und Seelen tief verwundet. Uns wird sehr bewusst, dass diese Menschen – jünger als wir – durch die Hölle gegangen sind. Auch wenn wir in einem scheinbar friedlichen Land unterwegs sind: der Konflikt schwelt noch heute zwischen Serbien und Kosovo. Scheinbar harmlose Situationen können das Pulverfass jederzeit explodieren lassen. Und uns wird wieder einmal klar, was für ein Glück wir 1989 hatten mit der friedlichen Revolution.
Es braucht Zeit, um solche echten Einblicke zu erhalten und nah an die Menschen heranzukommen. Das geschieht nicht, wenn Du abends ankommst und an nächsten Tag mittags weiterfährst. Dafür braucht es Zeit und vielleicht sogar ein Lagerfeuer oder ein paar Kerzen.
Zu viel Gepäck
3,5 Tonnen. Das ist die Grenze unserer Laika. Für mehr ist sie nicht zugelassen. Ein großer Teil des Gesamtgewichts nimmt unsere alte Dame selbst in Anspruch. Aber rund 350 Kilogramm bleiben für unsere persönlichen Sachen übrig. Da wird es auf einmal relevant, ob ein Eimer drei oder nur ein Kilogramm wiegt. Hast Du schon einmal Deine Sachen gewogen? Wie viel wiegt Dein T-Shirt oder einmal Bettwäsche? Was bringen Campingtisch und -stuhl auf die Waage? Und nicht zuletzt: wie viel wiegen wir selbst?
Also haben wir geplant: für jedes „Zimmer“. Unser rollendes Häuschen hat ein Bad mit Klo, Schlaf-, Wohn- und Esszimmer, Küche, einen Keller und das Fahrerhaus. Nehmen wir es ganz genau, haben wir sogar eine kleine, gut sortierte Werkstatt.
Stunden haben wir recherchiert, um möglichst leichte und nachhaltige Ausrüstung zu finden.
Heute können wir sagen, dass wir rund dreißig Prozent der Dinge in unserem Keller nicht gebraucht haben. Das heißt aber nicht, dass wir sie beim nächsten Mal ausräumen werden. Denn unsere Anfahrhilfen zum Beispiel wären beinahe zum Einsatz gekommen.
Fazit
Auf Langzeitreise zu fahren, lohnt sich auf jeden Fall. Es ist so wertvoll, einfach Zeit zu haben und dem inneren Gefühl nachgehen zu können. Unsere nächste Reise wird jedoch langsamer sein. Uns gefällt die Vorstellung, für eine Zeitlang eine Unterkunft zu finden und in das tägliche Leben der Menschen einzutauchen. Ob es funktioniert, finden wir dann heraus.
Auch werden wir noch minimalistischer unterwegs sein. Im Grunde gab es ein paar Kleidungsstücke, die wir immer wieder angezogen haben. Andere wiederum haben die gesamte Reise im Schrank verbracht. Hier gibt es definitiv Spielraum, weiter zu reduzieren.
Wir kennen Menschen, die auch von einer solchen Reise oder auch von einer Auszeit träumen. Manche können es sich aber nicht vorstellen, vielleicht trauen sie sich auch nicht. Doch wer sagt denn, dass es gleich ein Jahr sein muss? Meine Reise 2017/2018 nach Neuseeland dauerte „nur“ sechs Wochen. Und war für mich ein richtig guter Einstieg, wie sich lange reisen anfühlen kann.