Jetzt ist es also soweit: ich fliege nach Kanada. Dieses Land ist ein Sehnsuchtsort schon seit vielen Jahren. Als 1989 die Mauer in Berlin fiel, war England mein erster Sehnsuchtsort: einmal die englische Sprache in dem Land sprechen, in dem sie zu Hause ist. Diesen Wunsch habe ich mir dann recht bald erfüllt. 1990 fuhr ich mit zwei Freundinnen in einem Reisebus nach London. Mit Unterbringung bei einer Gastfamilie. Danach bin ich viel gereist, oft auch allein.
Irgendwann kam mir Neuseeland in den Kopf und ich dachte so bei mir „das siehst du mal nie – viel zu weit weg und viel zu teuer“. Bis ich mir die Frage stellte : „warum eigentlich nicht?“. Das war die Initialzündung. In nur wenigen Monaten hatte ich das nötige Geld gespart und saß gemeinsam mit einer Freundin im Flieger nach Auckland. Erst eine Bus-Rundfahrt und danach noch zwei Wochen allein in einem Camper.
Und jetzt Kanada. Die Bus-Rundfahrt spare ich mir: es geht gleich mit einem Wohnmobil los. Drei Wochen nur für mich. Wenn ich ehrlich bin, bekomme ich Muffensausen bei der Vorstellung daran. Und irgendwie auch nicht. Im Gegenteil. Ich bin ziemlich entspannt. Ich freue mich, ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich freue mich auf die Freiheit, auf die Weite, das Unbekannte. Ich freue mich auf die Natur. Aber ich habe auch Respekt davor. Allein zu sein. Drei Wochen lang.
Die Anreise

Die Zeitumstellung von acht Stunden verlangt mir einige Rechenarbeit ab, aber insgesamt hat es wohl 36 Stunden gedauert von zu Hause bis hier. Darin eingerechnet ist aber auch eine Übernachtung in Frankfurt am Main. Ich plane gern großzügig. Die gut neun Stunden Flug habe ich dann recht gut überstanden, auch ohne Schlaf. Leider hat die Frau neben mir gleich zu Beginn beide Rollos zugezogen. Ich konnte also nicht nach draußen schauen. Und auch meine „Wanderungen“ im Flieger, um vielleicht einen Blick aus einem anderen Fenster zu erhaschen, ging leider nicht auf. Das war besonders schade, da wir über Island und Grönland geflogen sind. Diese weiße Weite hätte ich gern gesehen. Merke: Fensterplatz auf dem Rückflug.

Zwei Filme und eine Doku später landen wir endlich in Calgary. Die Einreise ist eine Art Self-Check-In. Über mehrere Reihen stehen Terminals und auf einem davon gebe ich auf deutsch meine Daten, die Art der Reise und eventuelle illegale Ambitionen ein. Danach werde ich durchgewunken. Meine Reisetasche erkenne ich zwischen all den Koffern an ihrem dicken roten Gurt und so gelange ich schließlich in eine sehr kleine, unaufgeregte Empfangshalle. Aufgeregt sind jedoch die Menschen – darunter viele Inder – die auf ihre Liebsten warten. Ich laufe an ihnen vorbei und suche nach dem Ort, von dem aus laut Reiseunterlagen ein Shuttle zum Hotel fahren soll. Immer wieder fahren Shuttle-Busse vorbei, einer davon gleich zweimal, aber ein Sandman ist nicht dabei. Ich werde etwas nervös, da in den Unterlagen auch stand, dass man gleich nach der Ankuft im Hotel für diesen Service anrufen soll. Ich habe aber noch keine kanadische Telefonkarte und möchte gar nicht wissen, was mich dieser Anruf kosten könnte. Also beschließe ich, darauf zu vertrauen, dass mich der Sandman noch abholen wird. Und so ist es dann auch. Vielleicht dreißig Minuten später bin ich im Hotel.
Ich bin echt geschafft. Ich will nur noch meine Ruhe und schlafen. Die Innenstadt von Calgary ist vom Zimmer aus zwar zu sehen, lauf Google aber ganz schon weit weg. Und Menschen, Lärm und Gedränge hatte ich in den letzten Stunden genug. Hier ist es gerade einmal 18 Uhr, während es in Deutschland acht Stunden später und damit mitten in der Nacht ist. Und entgegen jeder Vernunft schlafe ich wenig später ein. Und bin um drei Uhr morgens das erste Mal, vier Uhr morgens das zweite Mal und fünf Uhr morgens dann endgültig wach.
Der Camper
Jetzt zieht sich die Zeit wie Kaugummi, aber irgendwann ist es zwölf, ich muss raus aus dem Zimmer und lass mich mit dem Taxi zu Cruise Canada fahren. Hier hatte ich für 13:30 Uhr einen Termin vereinbart. Aber es ist gerade wenig los, mein RV ist fertig, also kann die Übernahme starten. Ziemlich gelangweilt spult die junge Frau im rosa Jogginganzug die Instruktionen ab und lässt mich dann mit meinem zu Hause auf Zeit allein. Ich bin froh, das mir vieles nicht neu ist und ich Routine habe.


Und dann geht es los. Ich steige ein, starte den V8 Motor, der tief tuckernd aus der Parklücke rollt. Einmal um die Kurve rum – und schon stehe ich in einer Sackgasse, umgeben von weiteren Wohnmobilen, die auf ihre Gäste warten. Also kann ich gleich mal rückwärts fahren üben. Das geht auch erstaunlich gut und ich lerne gleich die Maße und den Radius des Autos kennen. Schließlich rollen wir vom Hof, an dessen Ausfahrt ich meine erste Überraschungsbremse erlebe. Eigentlich wollte ich nur die Kupplung treten, die aber beim Automatigetriebe die Bremse ist. Ich lache herzhaft über mich selbst und verbuche es unter einen gelungenen Lektion in Sachen „ist alles gut verstaut“ und „das linke ist die Bremse“.
Um nicht vor lauter Aufregung etwas zu vergessen, hatte ich mir im Hotel mit klarem Kopf eine to-do-Liste für diesen Tag erstellt. Das Auto hab ich, Aufgabe zwei: Internet und einkaufen. Das kann ich alles bei Walmart erledigen, zu dem ich mich dann auch navigieren lasse. Allerdings mit einer App, die eher auf Wanderungen spezialisiert und durch mein aktuelles Tempo vermutlich überfordert ist. In doppelter Geschwindigkeit sagt sie mir mit Micky-Mouse-Stimme wo ich langfahren soll. Auch wenn ich zu Hause bei Youtube öfter mal die Geschwindigkeit erhöhe – hier komme selbst ich an meine Grenzen. Doch Walmart ist zum Glück groß genug und so parke ich schließlich davor ein. Hier bekomme ich großzügiges Internet, die Ausstattung für die ersten Tage und einen zusätzlichen Schlafsack. Den nehme ich vorsichtshalber mit. Die Decke vom Vermieter sieht nicht aus, also könne sie die aktuellen Temperaturen der Rocky Montains gut ausgleichen.
Das hat sich schon in der ersten Nacht, die ich in Banff verbracht habe, als die beste Entscheidung herausgestellt.