Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wir haben es gerade so geschafft und sitzen um sechs Uhr morgens in Ninas Auto auf dem Weg zum Bootshafen. Hier schaukeln mehrere Ausflugsboote auf dem Wasser, aber im Moment ist nur unsere Bootsbesatzung auf dem Steg. Seit Beginn des Ukrainekriegs sei die Besucherzahl deutlich gesunken, erzählt Nina. Vermutlich wäre sonst um diese Zeit schon mächtig Trubel. Dan ist schon da und legt Sitzpolster für uns auf die Bänke. Dann „schiffen wir uns ein“ und es geht los. Nina winkt uns zum Abschied, sie wird uns in vier Stunden hier wieder einsammeln.
Das eigentliche Delta hat eine Fläche von rund 2.500 Quadratkilometern. Zusammen mit dem angrenzenden Razim-Sinoie-Lagunenkomplex steht heute eine Fläche von rund 5.000 Quadratkilometern als UNESCO-Weltnaturerbe unter Schutz.
Die ersten Meter fühlen sich an wie eine Kahnfahrt im Spreewald. Entlang des Ufers stehen kleine Hütten und Häuser, in denen die Menschen wohnen. Jedes Anwesen hat einen eigenen Anlegesteg und es liegt mindestens ein Boot vor Anker. 3,5 Einwohner pro Qadratkilometer leben im Delta – zum Vergleich: im Spreewald sind es im ländlichen Raum ca. 37 Einwohner pro Quadratkilometer.
Dick eingepackt und mit Schwimmwesten ausgestattet freuen wir uns auf diesen Ausflug durch das zweitgrößte Delta Europas.
Das Delta entstand durch die Gabelung der Donau in die drei Mündungsarme Chilia, Sulina und Sankt-Georg. Sie sind durch zahlreiche Kanäle und Seen miteinander verbunden und fließen schließlich ins Schwarze Meer. Der Chilia-Arm im Norden bildet gleichzeitig die Grenze zur Ukraine. Im Jahr 2000 verpflichteten sich die Anreinerstaaten – Ukraine, Republik Moldau, Bulgarien und Rumänien – zum Schutz und Renaturierung der Feuchtgebiete entlang der unteren Donau. So entstand das größte grenzüberschreitende Schutzgebiet Europas. Murighiol liegt südlich des Stankt-Georg-Arms und auf diesem beginnt für uns die Fahrt durch das Biosphärenreservat.
Unser kleines Boot fühlt sich auf dem breiten Fluss wie eine Nussschale an. Eine gute halbe Stunde folgen wir dem Sankt-Georg-Arm, bevor wir in einen schmalen Kanal abdrehen.
Danach öffnet sich der erste der vier Seen, die wir besuchen. Manche sind so groß, dass es sich ein bisschen anfühlt, als fahren wir hinaus auf die offene See. Bilder können das leider nicht einfangen, das muss man gesehen und erlebt haben.
Das Delta ist unter anderem Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren. Es gibt 110 Fisch-, 325 Vogel- und 54 Säugetierarten. Auch verschiedene Amphibien. und Reptilienarten leben hier. Da es an der Kreuzung von sechs Vogelzugrouten liegt, ist es außerdem wichtiger Rast- und Brutplatz für Zugvögel.
Uns gefallen am besten die Rosapelikane, die hier mit mehr als 7.000 Tieren leben. Vor allem ihr Fressverhalten ist faszinierend. In einer Gruppe von mehreren Tieren wirbeln sie mit ihren Füßen das Sediment auf. Dann tauchen sie ab, um mit ihren riesigen Schnäbeln die aufgescheuchte Beute zu schnappen. Mir schleicht sich bei diesem Anblick „Alle meine Entchen“ in den Sinn, denn genau so sieht es aus. Leider haben wir davon nur Handyfotos und -videos. Ein guter Grund für Euch, es einfach mal selbst zu erleben.
Auf dem Weg zurück haben wir sogar zwei Seeadler gesehen. Dan hat uns erzählt, dass sich in „seinem“ Revier schon drei Paare wieder angesiedelt haben.
07. Juni 2022