Am nächsten Morgen erwachen wir in fast vollkommener Stille. Lediglich das zwitschern der Vögel und das wiederholte schnelle, kurze trommeln eines Spechts sind zu hören. Dieser Platz ist einer der schönsten Orte, an denen wir bisher frei gestanden haben.
Und dennoch fahren wir weiter. Unser heutiges Ziel: die Schlammvulkane von Berca, knapp 170 Kilometer entfernt. Die Fahrt führt uns wieder durch das rumänische Landidyll und schickt vor allem Silke auf eine Reise in ihre Kindheit bei Oma und Opa in Mecklenburg. Die Häuser sind hier etwas bunter, aber die kleinen Gärten für die Selbstversorgung und die geharkten Rosenbeete vor den Häusern bringen sie regelmäßig in Verzückung. Vor fast jedem Gartenzaun steht eine Bank, um sich nach getaner Arbeit ein wenig auszuruhen und die neuesten Dorf-Nachrichten auszutauschen. Nur hin und wieder sitzt auch jemand auf einer der Bänke. Vor unserem inneren Auge sehen wir sie aber: die Frauen in Kittelschürze und Kopftuch und die Männer mit Cordhosen und Hosenträgern. Neueste Nachrichten über Nachbarn und Freunde werden quer über die Straße gerufen und dabei vielleicht ein wenig ausgeschmückt. So fliegen sie in Windeseile direkt und ungefiltert von Bank zu Bank und von Haus zu Haus. Der Mensch liebt Geschichten. Und Geschichten über die Menschen, die wir kennen, haben wir am liebsten.
Zwischen den Dörfern wächst das Korn auf riesigen Feldern. Es ist das erste mal, dass wir wieder so weitläufige Felder sehen. In den Ländern, durch die wir bisher gefahren sind, gab es eher viele kleine „Handtuch“-Felder. Hier aber sind sie weit und es ist manchmal unmöglich, ihr Ende am Horizont zu erkennen. Auch das erinnert uns an Kindheit. Wir sind inzwischen sensibilisiert dafür. Und es macht Spaß, sich diesen Erinnerungen hinzugeben.
Irgendwann erreichen wir Berca. Und fahren zu den Pâclele Mari, den großen Schlammvulkanen. Hier hat die Natur eine in Europa seltene Landschaft geschaffen.
Hier wirkt der kalte Vulkanismus, denn auch die Schlammvulkane formen sich aus Eruptionen – nur eben nicht mit heißer Magma. Es beginnt mit einer Gasexplosion in rund 3.000 Metern Tiefe. Das Gas vermischt sich auf dem Weg nach oben mit Tonböden und Grundwasser und wird als kalter Schlamm aus einer Öffnung gespuckt. Trocknet der Schlamm, bildet er so im Laufe der Zeit rund um die Öffnung einen Kegel. Die größten davon sind zwischen drei und acht Metern hoch. Wir haben Glück, es ist trocken und die Vulkane blubbern eher gemütlich vor sich hin. Bei Regen oder starken Eruptionen kann das Plateau ziemlich schlammig werden.
Ein Stück entfernt liegen die Pâclele Mici, die kleinen Schlammvulkane. Die wollen wir natürlich auch sehen! Zwischen den beiden Vulkangebieten liegt ein Campingplatz direkt auf unserem Weg. Aber uns ist nicht nach Camping, wir fahren an dessen Zufahrt vorbei und weiter zu einem eingezeichneten Stellplatz, vermutlich der Parkplatz für die kleinen Schlammvulkane. Hier sind wir allein, nur das unterschwellige brummen in den Stromleitungen einer in der Nähe befindlichen Anlage ist zu hören. Aber wir sind hier nur zum schlafen und in der Laika hören wir es nicht. Also können wir bleiben.
Um zu den kleinen Schlammvulkanen zu gelangen, müssen wir nur ein Stück den Hügel hinauf, schon liegt die karge Landschaft vor uns. Hier sind die Kegel und Öffnungen kleiner. Überall blubbert und sprudelt es aus dem Boden. Jeden Moment kann sich der Untergrund öffnen und ein neuer Vulkan spuckt seinen Schlamm in die Welt.
Da der Schlamm Salz- und Schwefel enthält, ist die Vegetation auf dem Plateau kein guter Lebensraum für Flora und Fauna. Und dennoch leben hier einige seltene Pflanzen- und Tierarten, die genau diese unwirtliche Umgebung zu schätzen wissen. Sie sind so selten, dass die Gegend bereits seit 1924 unter Naturschutz steht.
An diesem Tag erfüllt sich für Silke sogar ein Lebenstraum: sie wollte immer schon mal auf einem aktiven Vulkan stehen. Diesen Wunsch hatte sie leider etwas ungenau formuliert, denn eigentlich meinte sie damit einen „richtigen“ Vulkan wie den Vesuv. Aber die kleineren Kollegen sind definitiv eine sehr schöne Alternative für den Moment. Und auf ihrem Wunschzettel steht jetzt namentlich der Vesuv.
Insgesamt erstreckt sich das Gebiet der Pâclele Mici und Pâclele Mari über 30 Quadratkilometer. Man kann aus dem Besuch sogar eine Wanderung machen und von einem zum anderen laufen.
Die Landschaft dazwischen könnte man fast schon kitschig nennen mit den sanften, grünen Hügeln. Mich erinnert diese Gegend sehr an Hobbiton in Neuseeland. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sich plötzlich zwischen dem grün eine hölzerne Tür geöffnet hätte und Frodo herausgekommen wäre.
10. – 11. Juni 2022