Heute ist es soweit, ich werde Schwarzbären sehen. Zumindest ist das meine Hoffnung. Bei der Buchung hat mir der freundliche Mann quasi eine Bärengarantie gegeben, denn Schwarzbären kommen während der Ebbe aus den Wäldern um am Strand nach Futter zu suchen. Für mich heißt das: Treffpunkt 9:30 Uhr bei „Jamie`s„. Schon um 8 Uhr fahre ich die zwei Kilometer vom Campingplatz zum Parkplatz, denn ich will ganz sicher einen Platz in der Nähe für mein Wohnmobil finden. In Ucluelet ist das parken kostenfrei und die Plätze sind gut besucht. Aber um diese Uhrzeit ist noch nichts los und ich finde einen Platz in der ersten Reihe. Hier habe ich jetzt Zeit, meinen Morgenkaffee zu trinken und etwas zu essen. Das ist der Vorteil, wenn das Haus immer mit dabei ist.
Es ist still im Ort, die Fischer sind vermutlich längst auf See und die Geschäfte haben noch geschlossen. Das nutzen ein paar vorwitzige Hirsche, um sich an den jungen Trieben der Hecke zu laben. Sie lassen sich von den Menschen nicht beeindrucken. Schon am Tag zuvor konnte ich eine kleine Gruppe dabei beobachten, wie sie in aller Seelenruhe ihren Appetit stillten. Sie sind stets aufmerksam aber nicht ängstlich oder gar im Fluchtmodus. Vermutlich haben sie bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Kurz nach neun Uhr bummle ich zum Eingang, vor dem schon die ersten Ausflügler stehen. Nach und nach stellen wir fest, dass wir alle aus dem deutschsprachigen Raum sind. Wir wechseln ins deutsche und tauschen uns über die Erlebnisse der letzten Tage und Wochen aus. Ein paar waren schon einmal mit dem Zoodiac unterwegs und haben es als „nicht so schlimm wie befürchtet“ empfunden. Das macht mir zwar Mut aber als sie dann auch noch über Übelkeit und Seekrankheit sprechen und sogar Tabletten dagegen austauschen, werde ich doch wieder nervös. Es ist erstaunlich, wie ich mich davon beeindrucken lasse. Auf keiner meiner bisherigen Boots-Fahrten hatte ich je mit Übelkeit zu kämpfen. Auch nicht, als ich vor Jahren mit der Fähre bei wirklich starkem Seegang von Athen nach Ägina übersetzte. Dort habe ich mich gedanklich beruhigt und mir gedacht `so lange mein Koffer stehen bleibt ist alles in Ordnung`. Kaum gedacht, gab mein Koffer auch schon der Schwerkraft nach und rutschte Richtung Bug. Das machte mich zwar unruhig, schlecht war mir aber nicht.
Bärentour mit dem Zoodiac
Der junge Mann, bei dem ich gestern die Fahrt gebucht habe, unterbricht unsere Unterhaltung und ruft zum umziehen. „Ich gebe Euch jetzt einen Überlebensanzug.“ sagt er. „Solltet Ihr ins Wasser fallen, legt Euch auf den Rücken. Der Anzug gibt Euch Auftrieb und hält Euch warm, bis Ihr aus dem Wasser gefischt werdet. Das sollte maximal 15 Minuten dauern.“ Sehr schön, das wollte ich hören so kurz vor meinem ersten Zoodiac-Ausflug. Aber ich nehme das knallrote Teil und schlüpfe hinein. Naja – sind wir ehrlich. Ich fühle mich eher wie eine zu dicke Raupe, die sich in ihren Kokon zurück kämpfen muss. Der erste Anzug ist mir zu klein und ich bekomme eine Nummer größer. „Setzt Euch bitte damit auch mal hin und schaut, dass Ihr Euch wohl fühlt. Ihr sitzt nämlich einige Zeit“ empfiehlt er uns weiter. Das mache ich dann auch und bin zufrieden. Das zweite modische Accessoire ist ein Regenmantel in orange, der zusätzlichen Schutz vor Spritzwasser bieten soll. Mein Equipment habe ich in meinem Rucksack verstaut, der sogar wasserabweisend ist. Zumindest, so lange er nicht im Wasser schwimmt. So verpackt besteigen wir das Boot, erhalten noch eine Einweisung und los geht´s. Erst tuckern wir langsam aus dem Hafen raus, dann gibt unser Kapitän Gas.


Nicht weit hinter der Hafenausfahrt treffen wir auf diesen chilligen Zeitgenossen. Der Seeotter liegt auf dem Wasser und verputzt in aller Seelenruhe seine Mahlzeit. Er lässt sich auch gar nicht beeindrucken von dem blauen Ungetüm (Zoodiac) mit den dicken orangen Verpackungen (wir) darin. Seeotter haben ein extrem dichtes Fell, dass sie vor der Kälte des Nordpazifiks schützt. Auf einem Quadratzentimeter wachsen über 100.000 Haare, was es zum Tier mit dem dichtesten Fell macht. Sie halten sich in Küstennähe und am liebsten in der Nähe von Seetang-Wäldern auf. Wir schauen eine Weile zu, während wir keines Blickes gewürdigt werden.

Dann ziehen wir weiter entlang der zerklüfteten Küste von British Columbia. Und haben mehr als einmal die Gelegenheit, Postkartenmotive zu fotografieren.

Bären auf Vancouver Island
Plötzlich halten wir an – unser Kapitän hat den ersten Schwarzbären entdeckt. Alle holen ihre Kameras und Handys heraus, um Fotos zu machen. Ich jedoch sehe gar nichts. Immer wieder prüfe ich den Sichtwinkel der anderen und scanne die Küstenlinie ab. Und dann sehe auch ich endlich den schwarzen Fleck zwischen den Steinen. Er ist viel kleiner als ich gedacht habe und fügt sich perfekt in die Landschaft ein. Zum Glück habe ich meine Kamera dabei und kann ihn näher heranzoomen.

Der Schwarzbär ist die am häufigsten vorkommende Bärenart auf Vancouver Island. Sie sind Allesfresser und haben sich dem wechselnden Nahrungsangebot auf der Insel angepasst. Sie finden in den dichten Küstenregenwäldern den idealen Lebensraum mit Kräutern, Beeren, Insekten und Wurzeln. An den Ufern wartet bei Ebbe jeden Tag ein reichhaltiges Buffett aus Krebsen und Muscheln. Im Herbst, kurz vor ihrem Winterschlaf zieht mit dem Lachs ein wahres Festmahl flussaufwärts. Bis zu 300 Kilogramm kann ein ausgewachsener Bär auf die Waage bringen. Diesem hier sind wir nicht geheuer. Er beobachtet uns eine Weile, dann beschließt er, sich langsam ins Unterholz zu verkrümeln.

Den zweiten Bär sehe ich gleich. Er hebt sich gut vor dem Hintergrund der grün bewachsenen Steine ab. Unbeeindruckt aber aufmerksam sitzt er auf seinem Hintern und schaut in unsere Richtung. Er hat die Untersuchung der Muscheln erst einmal unterbrochen, bleibt aber sitzen. Unser Kapitän hat den Motor ausgestellt, so dass das Boot nur leise auf den Wellen schaukelt. So entscheidet er schließlich, dass wir ungefährlich sind und macht sich wieder ans Werk.

Dann erleben wir eine sehr besondere Begegnung. Aus dem dichten Wald tappst eine Bärin. Unverhofft folgen ihr kurze Zeit später zwei Jungtiere. Sie sind so winzig, da sie erst vor wenigen Wochen auf die Welt gekommen sein müssen. Dieser Anblick ist so schön, dass wir einfach nur sitzen und staunen. Die Mutter läuft schnüffelnd vorneweg, die kleinen hinterher. Ich verstehe sofort, warum der Bär auch als Kuscheltier so beliebt ist. Sein Gang ist tapsig, fast ein bisschen unbeholfen und sein Gesicht wirkt irgendwie freundlich. Aber es wäre fatal, diese Tiere zu unterschätzen. Mit ihren scharfen Krallen können sie nicht nur scharfkantige Muscheln problemlos knacken. Rund fünf Minuten können wir der Mutter und ihren Jungen zuschauen. Dann verschwinden auch sie wieder im Wald.

Der nächste Bär lässt sich von uns gar nicht beeindrucken. Er schaut noch nicht einmal hoch, als wir ankommen, sondern untersucht das Ufer weiter nach Muschelfleisch und frisst es genüsslich in sich rein. Ihm scheint unsere Anwesenheit überhaupt nichts auszumachen. Er ist total fokussiert. So haben wir gefühlt endlos Zeit, ihm dabei zuzusehen. Es ist schön, dass diese Tiere in British Columbia und speziell Vancouver Island noch einen Lebensraum haben. Rund 7.000 von ihnen leben auf der Insel. Aber sie sind bedroht. Die Städte weiten sich aus, Wälder werden abgeholzt – während der Bootsfahrt zu den Orcas habe ich einige der hinterlassenen Schneisen gesehen. Sie sehen aus wie aufgerissene Wunden und dicke Narben.
Viel zu früh ist unser Ausflug vorbei und wir müssen zurück. Das Zoodiac fliegt übers Wasser und ich bekomme den direkten Vergleich zwischen dem Boot vor ein paar Tagen und dem Zoodiac heute. Und diesen entscheidet eindeutig das Zoodiac für sich. Die flexible Schlauchkonstruktion fliegt wesentlich sanfter über die Wellen als das Boot aus festem Material. Es ist nicht so starr und kann nachgeben. Damit fühlt sich der Aufprall auf den Wellen nicht wie Beton an. Und gegen die Gischt, die hin und wieder über den Rand spritzt, sind wir gut eingepackt.

Pizza und plaudern
Nach gut drei Stunden erreichen wir den Hafen von Ucluelet. Ich schäle mich aus meinem Kokon und fühle mich gleich sehr viel freier und leichter. Neben mir auf dem Parkplatz steht das Auto von Melanie und Alex, die im Zoodiac ganz vorn gesessen haben. Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über die Bären, Wale, die Tour und die Erfahrungen mit dem Zoodiac.
Schließlich fragen sie mich, ob ich mit den beiden Pizza essen will. Sie haben am Tag zuvor schon ein Restaurant getestet und die dortige Pizza für gut befunden. Es ist, als kennen wir uns schon ewig und wir tauschen uns über Gott und die Welt aus. Die beiden sind mit dem Leihwagen unterwegs und haben noch gut eine Woche vor sich.

Danach laufen wir durch den Ort zum Hafen. Während wir uns unterhalten, schwimmt unverhofft eine Robbe gemütlich an uns vorbei. Ich bin nicht sicher, welche Robbe es genau ist, aber ich vermute, es ist ein Kalifornischer Seelöwe. Anders als es der Name vermuten lässt, sind sie häufige Besucher an den Küsten Vancouver Islands.

Ich frage die beiden, ob sie mit mir noch ein Stück am Ufer entlang zu einem anderen Steg laufen. Dort hatte ich bei der Ausfahrt aus dem Hafen mehrere Weißkopfseeadler beim Kampf um die erbeuteten Fische beobachtet. Ich hoffe, dass sie vielleicht noch immer da sind, um sie zu fotografieren. Und wir haben Glück, es sind noch ein paar da. Die meisten sind Jungtiere, die noch nicht das typisch weiße Gefieder an Kopf und Schwanz tragen. Diese Besonderheit bildet sich erst im Alter von vier bis fünf Jahren aus. Diese Vögel haben eine Flügelspannweite von bis zu 2,30 Meter und sie können bis zu einem Meter groß werden.




Wild Pacific Trail
Schließlich trennen sich unsere Wege. Es war ein wirklich schöner Tag mit den beiden und ich bin sehr dankbar, sie kennengelernt zu haben. Inzwischen ist Nachmittag geworden und ich habe beschlossen, wieder auf dem Campingplatz Ucluelet zu übernachten. Aber noch ist es zu früh, diesen Tag zu beenden. Ich möchte es noch einmal mit dem Wild Pacific Trail versuchen. Ich habe Glück, die Tagesausflügler sind inzwischen fort. Ich parke meinen Camper und laufe zum Amphitrite Point Leuchtturm. Er ist erstaunlich klein für einen Leuchtturm, nur rund sechs Meter hoch und ist seit 1915 in Betrieb. Um die Landzunge, auf der er steht, führt der Wild Pacific Trail. Es ist ein rund 9 Kilometer langer Wanderweg entlang der Küste. Er besteht aus zwei Hauptabschnitten, von denen ich den Teil „Lighthouse Loop“ wähle. Dieser ist rund 2,5 Kilometer lang und bietet atemberaubende Ausblicke auf den wilden Pazifik.

Vom Land sieht der Seegang gar nicht so stark aus, auch wenn immer wieder Wellen an den zerklüfteten Felsen brechen und dabei beeindruckende Formationen bilden. Nicht weit entfernt von der Küste fährt ein etwas größeres Schiff, dessen Bug immer wieder tief in die Wellen eintaucht. An ihm erkenne ich gut, dass die See ziemlich rauh ist.



Ich bin fast allein auf diesem Weg und begegne nur wenigen Menschen. Als ich wieder einmal an einem der Aussichtspunkte halte, um die Szenerie in mich aufzunehmen, geht eine Frau mit ihrer Teenager-Tochter an mir vorbei. Sie ziehen eine unangenehm süße Parfümwolke hinter sich her. Und ich denke mir wenn ich diese Wolke riechen kann, wie stark muss sie für die Tiere mit ihren feinen Nasen sein. Ich laufe extra langsam, um ihnen möglichst viel Vorsprung zu geben, doch sie scheinen unsicher zu sein, welcher Weg der richtige ist und so begegne ich ihnen einige Male, bevor ich an einer Kreuzung gezielt in die entgegengesetzte Richtung abbiege.
Der Lighthouse Loop ist wirklich sehenswert und ich setze den gesamten Wild Pacific Trail auf meine Liste der Dinge, die ich noch erleben möchte.
oh wow, vielen Dank das du uns so hautnah an deinen Erlebnissen teilhaben lässt 🥰 ich habe das Gefühl alles selber zu erleben, zu sehen, fühlen, riechen…. Danke von 💜
Liebe Grüße Anja
Hab vielen Dank! Freut mich, wenn es Dich so mitnimmt. Das war der Plan. Liebe Grüße Claudia
Liebe Claudia, wenn ich nicht wüsste, dass Du schon wieder zuhause bist, würde ich mir wünschen, dass Du noch gaaaanz lange in Kanada bleiben kannst und viele weitere tolle Berichte verfasst. Vielen Dank fürs Aufschreiben, Recherchieren und Teilen. Liebe Grüße von Silke & Oliver
Ich danke Euch. Das freut mich sehr. Ich fahr sicher nochmal nach Kanada. Und dann werde ich wieder berichten. Liebe Grüße Claudia