Der Bow River Campground ist der erste Ort, der meinem Kanada-Traumbild einen herben Dämpfer gibt. Nicht der Campingplatz selbst, aber seine Lage. Denn er liegt zwar idyllisch direkt am Bow River, aber leider auf der anderen Seite auch direkt am Highway Nr. 1 – dem Trans Canada Highway. Und wie es der Name vermuten lässt, verbindet der Highway Kanada grob gesagt von Ost nach West. In Deutschland sind wir mit Lärmschutzwänden oder Untertunnelungen ziemlich verwöhnt. Hier geht es einmal quer durch. Keine Leitplanken, keine Schutzmauern. Lediglich die Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h könnte die Lautstärke etwas verringern. Das wird aber durch die brummigen Motoren der Fahrzeuge leicht wieder ausgeglichen.



Denoch ist der Campingplatz gut besucht, obwohl einige Parzellen direkt neben dem Highway liegen. Hier könnte man beim einschlafen die vorbeibrummenden Autos zählen. Und nach Größe und Modell clustern. Mir erschließt sich das alles irgendwie nicht. Irgendwann verstehe ich aber, dass es kaum eine andere Wahl gibt. Und ich erinnere mich an die Schweiz. Jedes Tal durch die Berge muss für sämtliche Infrastruktur genutzt werden. Und der Schall breitet sich nun mal nach allen Richtungen aus. Mich macht dieses ständige Rauschen und Zischen mürbe. In der Nacht wird es zwar weniger und ich kann einigermaßen gut schlafen, aber als Hintergrundgeräusch ist es immer präsent. Und das merke ich am nächsten Morgen. Ich bin ein bisschen frustriert, packe schnell meine sieben Sachen zusammen und fahre die 45 Kilometer weiter Richtung Banff.
Banff Condola
Banff liegt im gleichnamigen Nationalpark und ist umgeben von mehreren Gipfeln der Rocky Mountains. Ich möchte mir einen Überblick verschaffen und fahre zur Banff Gondola. Hier erlebe ich das erste Mal die Effizienz, mit der hier die Touristen und Ausflügler zu ihrem Ziel manövriert werden. Und es scheint so, als habe ich noch einen ziemlich entspannten Tag erwischt. Vom Wetter her gilt das auf jeden Fall. Die Sicht ist klar und nur ein paar Wolken werfen hin und wieder leichten Schneegriesel auf die Welt. Am Ticketschalter werde ich das erste Mal gefragt, wann ich denn hochfahren will. Das verstehe ich noch nicht ganz und lasse mir erst mal die nächstmögliche Zeit geben. Das ist in gut 25 Minuten. Freundlich werde ich darauf hingewiesen, dass ich bitte rund 10 Minuten davor schon am Einstieg sein soll. Und hier erschließt es sich mir. Anhand der Zeiten werden wir gruppiert, gescannt und dann schnell jeweils zu viert in eine der Gondeln gesetzt. Und ab geht es steil hinauf auf 2.281 Meter.


Von hier oben habe ich einen grandiosen Blick auf Banff und die Rocky Mountains. Aber ich bin hier auch nicht allein. Der Gipfel ist gut erschlossen. In dem dreistöckigen Gebäude gibt es ein Restaurant, ein Museum, eine Aussichtsplattform mit Liegestühlen und Feuerstellen und der obligatorische Souvenirladen. Ein hölzerner Weg führt zum gegenüberliegenden Gipfel, auf dem eine Wetterstation ist. Und dahin laufe ich jetzt. Unterwegs sehe ich mein erstes Erdhörnchen, dass zwischen den Felsen hin und her flitzt. Da ahne ich noch nicht, dass diese putzigen Kerlchen überall wohnen.

Rund zwei Stunden bin ich hier oben. Als ich gerade Richtung Gondola gehen will, zeigt mir ein Mann zwei Bergziegen, die direkt unterhalb der Station am Waldrand liegen und rasten. Schnell mache ich Fotos, um sie nur ja nicht zu verpassen. Doch sie bleiben so bewegungslos sitzen, dass ich irgendwann denke, sie sind nicht echt. Und als ich mich gerade selbst frage, wie ich diesem Touri-Unsinn auf den Leim gehen konnte, regt sich eins der beiden Tiere. „Ja, ja“ denke ich „schön eine kleine Mechanik eingebaut, die den Kopf immer mal hoch und runter bewegt.“ Ein bisschen enttäuscht ob dieses Fakes gehe ich ein Stück weiter. Und sehe plötzlich eine Mutter, die ihrem Kind die beiden Ziegen zeigt. „Das arme Kind“, denke ich, „so jung und schon veralbert“. Aber ich wende doch meinen Kopf zu Seite und da stehen sie. Beide Ziegen haben sich erhoben und laufen nun gemächlichen Schrittes weiter Richtung Bergstation.Also doch kein Fake. Aber so wie sie immer wieder nach oben blicken, fällt hier sicher immer mal wieder etwas runter. Obwohl das, nicht nur wegen der Vorschriften, verboten ist.


Dann fahre ich wieder hinab ins Tal. Diesmal zusammen mit einer Frau, ihrer Tochter und ihrem Enkel. Und wir kommen ins Gespräch. Die Kanadier finden es meistens großartig, dass ich aus „great Germany“ komme. Und oft erzählen sie mir dann ihre bisherigen Erfahrungen in oder mit Deutschland. So ist es auch hier. Die Tochter hat vor 20 Jahren einen Roadtrip durch Europa gemacht und dabei unter anderem auch Deutschland besucht. Und es hat ihr gefallen dort. Deutschland ist ja auch schön, doch Kanada ist eine völlig andere Liga. Allein schon die Größe ist schier unvorstellbar. So erzählt mir die Frau dann auch, dass sie für die Anreise zum Besuch bei ihrer Tochter allein zweieinhalb Tage mit dem Auto gebraucht hat. Sie wohnt recht mittig im Land. Und auch ich hab inzwischen entschieden, dass ich meinen Plan anpassen muss. Denn es gibt hier so viel zu sehen und zu entdecken. Und ich will auch nicht nur abhaken. Ich will mir Zeit lassen und staunen. Und wenn ich ehrlich bin, entscheidet am Ende meine Kondition. Der Camper ist schwer und der Alkoven nimmt jede kleine Brise auf und verwandelt sie gefühlt in einen Sturm. Also bin ich ständig dabei, das Auto in der Spur zu halten. Das klingt jetzt wilder als es ist, aber es strengt schon ordentlich an.

Heute bin ich nur 45 Kilometer gefahren bisher und ich suche in der Umgebung nach einem Campingplatz für die Nacht. Prämisse: möglichst weit weg vom Highway. Den finde ich rund 83 Kilometer weiter: „Kicking horse Campground“. Ich geb zu, hier hat der Name entschieden. Der Campingplatz liegt im Yoho Nationalpark – kleiner, unbekannter und dadurch vielleicht schöner als Banff. Aber dazu später mehr.

