Diese zweite Nacht im Camper war gut und bei weitem nicht so laut wie die vorherige. Während ich die erste Nacht im Alkoven verbrachte, hab ich es mir diesmal in der Ess- und Schlafecke bequem gemacht. Auch für unserem Roadtrip durch Europa haben wir uns ganz bewusst für ein teilintegriertes Wohnmobil entschieden. Dieser RV bestätigt diese Entscheidung. Es liegt und schläft sich zwar gut im Alkoven und es ist fast wie eine kleine Höhle. Aber es ist nach oben eng und es gibt keinen Raum zum sitzen. Und ich sitze nun mal gern im Bett: zum lesen, Video schauen und vor allem, um Blog zu schreiben. Jetzt muss ich zwar jeden Tag wieder umbauen, aber dieser „Aufwand“ ist es mir wert. Mein erster Umbau hier hatte es jedoch in sich. Vermutlich wurde der Tisch vor ewigen Zeiten oder vielleicht noch nie aus seiner Verankerung geholt. Der Fuß gab zwar irgendwann nach, doch die Verbindung zwischen Tisch und Fuß hat vermutlich von Herkules geträumt. Sie will sich einfach nicht lösen. Aber ich bin wild entschlossen und drehe die widerspenstige Tischplatte hin und her. Und unter quietschen und kreischen gibt sie irgendwann doch nach. Was meine Nachbarn gedacht haben, möchte ich gar nicht wissen.
Als ich an diesem Morgen aus dem Auto krabble, weht mir eine ziemlich kalte Brise um die Nase. Und als ich hoch zu den Bergen schaue, die den Campground umgeben, sehe ich eine feine Schneeschicht nur wenige Meter über mir auf dem Fels liegen. Da oben hat es also geschneit diese Nacht. Nicht schlecht. Ich weiß gar nicht, ob mein Camper zur Not Schneeschuhe trägt. Aber ich vertraue jetzt einfach mal drauf, dass die Temperaturen nicht noch weiter fallen.

Der „Kicking Horse Campground“ liegt ein Stück vom Highway entfernt und unterhalb der Straße. Deshalb war hier das rauschen nicht zu laut zu hören. Ganz bekommt man es in so einem Tal aber nicht weg. Was ich nicht bedacht habe, ist die Eisenbahn. Denn die fährt ebenfalls durch diese Schlucht. Es sind vor allem Güter, die hier transportiert werden und ich übernachte direkt neben einem kleinen technischen Wunderwerk. Denn hier wurden nach schweizer Vorbild sogenannte Spiraltunnel gebaut. Wie genau das funktioniert, ist hier zu lesen. Grob gesagt wurde eine Schleife in den Berg gegraben, welche die Steigung erheblich reduziert. Wenn man Glück hat, kann man das auch sehen. Denn so eine Lok oder besser mindestens zwei Loks – eine vorn, eine hinten – ziehen und schieben gemeinsam schon mal 120 Wagons. Als ich die Konstruktion von einem kleinen Parkplatz aus beobachte, kommt dann auch gerade ein Zug, der sich den Berg hochschiebt. Wenig später sehe ich einen zweiten Zug, der mir zuvor gar nicht aufgefallen ist. Bis ich realisiere, dass dies der gleiche Zug ist. Während die letzten Wagen noch im Tunnel über mir verschwinden, kommen die ersten Wagons bereits ein Stück weiter oben wieder raus. Das ist wirklich beeindruckend.


Lake Louise
Heute will ich nach Lake Louise den vielleicht am meisten fotografierten See in Kanada. Vom Campingplatz sind das nur rund 25 Kilometer. Als ich dort ankomme, folge ich den Beschilderungen zum See, fahre aus der kleinen Ortschaft im Tal raus und rund 5 Kilometer bergauf. Dort angekommen, werde ich freundlich aber bestimmt aufgefordert, nach links abzubiegen. Nur um kurz darauf die gleiche Straße wieder zurück in den Ort zu fahren. Parken ist oben am See mit dem Wohnmobil nicht möglich. Also parke ich unten im Dorf auf einem kleinen Schotterplatz hinter einer Tankstelle und überlege mir, was zu tun ist. Das ist für mich die größte Herausforderung beim allein reisen: was mache ich als nächstes? Zumal das Angebot riesig ist. Was schau ich an, was muss ich weglassen? Und dabei bin ich erst am Anfang der Reise. Wo soll das noch hinführen?
Der kleine Ortsteil im Tal hat nicht viel zu bieten. Einen kleinen Laden, die Tankstelle und das Visitor Information Center. Da gehe ich jetzt hin, um mir bei der Entscheidung helfen zu lassen. Die Frau hinterm Tresen gibt mir dann auch den entscheidenden Tipp. Ich hab ein „3-day-weekend“ erwischt und bin zudem im „busiest nationalpark in canada“. Gefühlt jeder Mensch in Alberta ist auf den Beinen und genau dort wo ich auch bin. Aber ich habe eine gute Chance. Die meisten hier kommen aus Calgary, was gut zwei Stunden Fahrt entfernt ist (ich hab definitiv länger gebraucht). Das bedeutet, dass die meisten gegen fünf wieder nach Hause fahren werden. Ab fünf ist es dann auch für mich möglich, mit dem Wohnmobil zum See hochzufahren. Natürlich könnte ich auch hochlaufen. 5 Kilometer bergauf – dauert nur rund 45 Minuten sagt sie. „Sie ist noch jung und dynamisch“ denke ich mir „ich brauch dafür bergauf locker zwei Stunden“. Als ich das schreibe, muss ich erst mal schmunzeln – diesen Satz kenne ich noch aus meiner Jugend. Nur haben das da andere zu mir gesagt. Ich beschließe, ein Stück am Fluss entlang zu laufen.


Schließlich erreiche ich den Campingplatz des Ortes, den ich mir für eine mögliche Übernachtung etwas genauer ansehe. Der Teil für Zelte ist noch nicht geöffnet, aber hier ist die Absicherung gegen Bärenbesuch sehr gut zu sehen.


Und dann gehe ich noch zu dem für Camper ausgewiesenen Teil des Campingplatzes. Grundsätzlich sieht er gut aus und ist auch recht gut besucht. Allerdings gibt es eine Sache, die mich schnell davon abbringt, hier zu übernachten. Denn gerade als ich da bin, rollt ein Güterzug direkt neben dem Campingplatz vorbei. Dieser hat drei Loks, sie machen den meisten Lärm und sind schon von weitem zu hören. Selbst, als sie schon lange vorbei sind.
Der Zug war auch auf dem „Kicking Horse Campground“ zu hören aber um einiges leiser als hier unten. Ich beschließe, die kommende Nacht wieder dort zu verbringen. Denn in diesem Tal wird der Zug mit Sicherheit überall gehört. Die Rockies können ganz schön laut sein. Es ist inzwischen später Nachmittag geworden und ich möchte zurück zum Auto. Also laufe ich am Fluss entlang immer durch den Wald zurück. Dabei laufe ich sogar an einer Brücke vorbei, die ich zuvor schon durch die Bäume gesehen habe. Wie das passiert ist, weiß ich nicht. Ich habe keinen abbiegenden Pfad gesehen. Vielleicht liegt es an meiner Fantasie, die hier gerade ihre besten Zeiten erlebt. Der Bärenzaun vorhin am Campground und diverse Videos aus Kanada, in denen Bären munter durch Ortschaften laufen auf der Suche nach Leckereien, das alles formt sich jetzt zusammen und lässt mich zügig und hin und wieder schlurfend durch den Wald laufen. Und wieder einmal schmunzle ich über mich selbst, aber ich habe nun mal keine Erfahrung mit „echtem“ Wildlife.

Schließlich erreiche ich die Brücke und gelange zurück zum Wagen. Es ist kurz vor fünf, ich mach alles startklar und fahre langsam wieder den Berg hinauf. Jetzt sehe ich auch den Wanderweg, den ich hätte nehmen können und korrigiere gedanklich meine Berechnung von vorhin von zwei auf drei Stunden. Oben angekommen, werde ich diesmal nach rechts und damit auf den Parkplatz für Wohnmobile geleitet. Es ist inzwischen genug Platz, ich stelle mein Auto ab, packe meine Sachen ein und laufe los.
Als ich ankomme darf ich meine romantische Vorstellung vom See erneut korrigieren. Das heißt: nicht vom See selbst, sondern von der Einsamkeit, die ich hier oben erwarte. Ich wusste zwar, das direkt am See ein Hotel ist aber damit und mit den vielen Menschen habe ich nicht gerechnet. Es ist doch nach fünf? Was wollen die Menschen alle hier?


Ein bisschen hab ich das Gefühl von Neuschwanstein. Menschen aus aller Welt drängen sich aneinander, um selbst DAS eine Foto vom See zu erhaschen. Und ich bin jetzt eine davon. Ich bleibe nur kurz hier, schieße ein paar Fotos und frage mich, wie es sich wohl als Hotelgast anfühlt, wenn vor meinem Fenster ständig Gruppen von Menschen lautstark Bilder machen. Vielleicht wird es ja ab sieben ruhiger oder ganz früh am Morgen. Vielleicht ist es das? Und es gibt hier oben verschiedenste Wanderwege in die Umgebung. Da hat man als Hotelgast natürlich einen zeitlichen Vorteil.
Mir wird das hier alles zu viel und ich folge dem Weg, der mich um See entlang führt. Ganz um den See laufen ist im Moment nicht möglich. Auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich zwar einen Pfad, aber ein paar Abschnitte sind unter herabfallendem Geröll verschwunden. Und mit steigendem Abstand, wird es ruhiger und ich kann die Aussicht genießen.


Kurz vor sieben bin ich zurück beim Hotel. Die Zahl der Fotografen am Ufer hat sich nicht merklich verringert. Schnellen Schrittes laufe ich an ihnen vorbei, werde kurz angehalten für ein Fotoshooting mit vier jungen Frauen und genieße dann die Ruhe im Auto. Sollte ich jemals wieder zum Lake Louis kommen, möchte ich bei Sonnenaufgang da sein.
Hi Claudi,
danke für diesen wunderschönen und lockerleicht geschriebenen Beitrag, der mich an 3 Stellen hat herzlich lachen lassen.
Du beschreibst deine Gedanken sehr bildhaft – ich bin förmlich beim Lesen mit dabei.
Danke auch für die tollen Fotos … sehr gern wäre ich mit auf dieser Tour!!
Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag.
Ich wünsche dir von Herzen eine schöne Reise.
😁
Danke Claudi für die wunderschön beschriebenen Momente auf Deiner Reise durch Kanada 👌. Viel Spaß und tolle Erlebnisse weiterhin. Liebe Grüße von Katrin 😍
Ich danke Dir, Katrin 😁
Leider bin ich noch nicht tagaktuell. Aber ich arbeite dran. Gibt so viel zu sehen hier. Und wenn ich mir das alles auf der Karte anschaue, hab ich vielleicht nicht mal 5% des Landes am Ende gesehen. Macht definitiv Lust auf mehr. Liebe Grüße in die Heimat von der Claudi