Wir verabschieden uns von Nina und Dan und fahren Richtung Tulcea. Das liegt rund 40 Kilometer entlang des Sankt-Georg-Arms von Murighiol entfernt. Es ist sehr ländlich hier, vielleicht wirklich ein bisschen wie in Mecklenburg. Wenige Häuser und weitläufige Felder, auf denen das Korn steht. Fehlt nur noch das Kopfsteinpflaster in den Dörfern und der Geruch der Zweitakt-Motoren.
Kurz vor Tulcea verändert sich die Landschaft. Der Fluss hat sich aus seiner Form gelöst, mäandert durch die Wiesen und bildet neue Kanäle und Seen.
Als wir in Tulcea ankommen, sind wir erstaunt, dass es eine „echte“ Stadt ist. Mit Hochhäusern, Hotels und breiten Straßen. Hier leben rund 68.000 Menschen auf einer Fläche von 115 Quadratkilometern. Tulcea hat einen wichtigen Hafen für Passagier- und Handelsschiffe. Mein inneres Bild vom Delta war irgendwie romatischer, kleiner, fragiler.
Wir stellen Laika auf den Parkplatz des Hotel Insula, das – wer hätt´s gedacht – auf einer kleinen Insel im Ciuperca See liegt. Kaum haben wir die mit Hecke bewachsene Holzbrücke überquert entfährt mir ein „Or gugge ma, noch ä Drabbi!“ (wieder sächsisch).
Ein gepflegter Traum in himmelblau und in der neuesten Bauart. Diese Trabant 1.1. waren die letzten, die bis 1990 im VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau produziert wurden. In ihm wurde ein 1,1-Liter-Motor verbaut, der auch im VW Polo unter der Haube steckte. Unser Schmuckstück hier trägt das Sachsenring-Logo einem Mercedes-Stern gleich auf der Motorhaube.
Wir setzen uns auf die Terasse des Hotels, lassen den Trubel an uns vorbeiziehen und überlegen, wie wir nun weiterfahren. Die Brücke, die wir eigentlich nehmen wollten, ist gesperrt und es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Umweg zu fahren.
Wir wollen noch ein bisschen an der Donau bleiben und wählen unseren nächsten Stellplatz rund 100 Kilometer südlich. Als wir dort ankommen, ist es schon später Nachmittag und die Sonne beginnt, langsam unterzugehen. Zwar stehen wir hier direkt an der Donau aber irgendwie fühlt es sich nicht gut an. Hinter dem Hügel liegt Hârșova und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden. Das kann auch einfach nur Einbildung sein aber wir haben gelernt, auf unser Gefühl zu hören. Nicht weit entfernt wird ein anderer Stellplatz angezeigt, den wir jetzt versuchen.
Nur wenige Kilometer nach Hârșova biegen wir in einen Waldweg ein. Er scheint gut befahren zu sein aber links und rechts gibt es keine Möglichkeit zu parken. Plötzlich zweigt ein weiterer, noch schmalerer Weg rechts Richtung Fluss ab. Inzwischen sind wir ziemlich gut darin zu erkennen, welche Strecken Laika schafft und welche wir besser nicht versuchen. Dieser ist nah dran an „sollen wir wirklich?“. Aber es ist inzwischen wirklich spät und wir wollen unseren Platz möglichst noch bei Tageslicht finden. Also steige ich aus und erkunde die letzten Meter bis zum Platz zu Fuß. Dann winke ich Silke, die Laika vorsichtig den kleinen Abhang hinunterrollen lässt. Der restliche Weg ist gut zu meistern und wir fahren auf das kleine Wäldchen direkt an der Donau zu.
Erst jetzt bemerken wir die Wohnwagen, die in einer Reihe entlang des Ufers aufgestellt sind. Und in einigen von Ihnen regt sich Leben. Es sind Angler, die ihre Ruten am Wasser stehen haben und nun geduldig auf einen Fang warten. Sie haben sich den leicht zugänglichen Teil des Waldbodens zu eigen gemacht. Die einzige Frau in der Runde sieht uns und kommt mit ihrem Mann auf uns zu. Wir können kein rumänisch, sie kein englisch, geschweige denn deutsch. Aber mit ausladenden Arm- und Handbewegungen fragen wir sie, ob wir hier eine Nacht stehen können. Die Antwort: „kein Problem aber bitte zweite Reihe.“
„Zweite Reihe“ bedeutet die Fahrrinne hinter den Wohnwagen. Hier finden wir dann auch ein relativ gerades Plätzchen, gehen hinunter zum Ufer und genießen den Ausblick auf die kleine Insel gegenüber, die von den Wassern der Donau umspielt wird. Und hin und wieder tuckert auch ein Schiff an uns vorbei. An diesem Abend hat die Donau endgültig unser Herz erobert.
08. – 09. Juni 2022