Saranda – ebenfalls an der albanischen Riviera – wird gerade umgebaut. Ein bisschen sieht es aus wie Monaco: Meer, Berg und viele Hochhäuser. In der Stadt wollen wir nicht stehen und fahren deshalb hinauf zur Burg. Von hier oben haben wir einen wunderbaren Blick auf die Stadt aber es ist windig und so richtig gefällt es uns hier nicht für eine Übernachtung.
Hier oben begegnet uns das erste Mal ein typischer albanischer Kontrast: unten die moderne, neu errichtete Stadt, oben der Hirte mit seinen Ziegen. Alt und neu, modern und ursprünglich, Großstadt und Landleben. Alles vermischt sich hier. Das werden wir auf unserer Reise durch das Land häufiger sehen und erleben. Und es passiert noch etwas mit uns in diesem Land: wir erinnern uns an die Zeit nach der Wende in Deutschland. Dieser Aufbruch in die neue Zeit. Und das schnelle Verschwinden der alten Zeit im Osten. Wir erinnern uns, ohne nostalgisch zu werden. Und wir freuen uns über diese Erinnerungen. Denn die Zeit damals war so schnelllebig, dass es uns manchmal schwer fällt. Hier aber gelingt es. Mit Hilfe der Kontraste. Auch Albanien ist im Aufbruch und gleichzeitig noch so tief in seinen Wurzeln verankert.
Wir fahren wieder hinab und weiter zum „Blue Eye“ – Syri i Kaltër. Es ist möglicherweise die bekannteste Sehenswürdigkeit Albaniens.
Und es ist definitiv ein beeindruckendes Naturschauspiel. Das blaue Auge ist eine Karstquelle, aus der unter hohem Druck Wasser aus den Tiefen der Erde strömt. Die Wassermenge variiert dabei. Auf einer Tafel lesen wir die Angaben aus drei verschiedenen Jahren: 1980 – 8,8 m³/s, 2002 – 1,4 m³/s und 2005 – 7,5 m³/s. 2004 war die Quelle sogar ganz ausgetrocknet.
Durch die Sonneneinstrahlung bekommt das Wasser einen intensiven Blauton, was der Quelle ihren Namen gibt.
Wie tief die Quelle ist, konnte noch nicht eindeutig erforscht werden. Es ist auch möglich, hier zu schwimmen. Silke versucht es auch, schafft es aber nur bis zum Oberschenkel in das knapp 13 Grad kühle Wasser. Von dem deutschen Pärchen, dass wir hier treffen, schwimmt er bis in den Wasserstrom. Und erzählt, dass es mehrere Strömungen gibt, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen.
Das Wasser wird kurz nach der Quelle gestaut und als wir dort sind, wird auch die Straße gerade in Handarbeit gebaut. Das blaue Auge soll für den Tourismus geöffnet werden und das hat vermutlich zur Folge, dass es seine ursprüngliche Schönheit weiter einbüßen wird. Ein erster Verkaufsstand und ein Restaurant sind bereits errichtet. Aus wirtschaftlichen Gründen ist es natürlich nachvollziehbar aber wir hoffen, dass es nicht zu schlimm wird.
Auch wenn wir gern noch etwas geblieben wären, zieht es uns doch auch irgendwie weiter. Das nächste Ziel ist Gjirokastra. Hier fahren wir auf einen Campingplatz etwas außerhalb des Zentrums. Er liegt zwar direkt an einer gut befahrenen Straße, in den Nachtstunden beruhigt sich der Verkehr jedoch, so dass wir gut schlafen können. Genau gegenüber befindet sich ein Mercedes Benz Autohaus. Mercedes ist die beliebteste Automarke hier in Albanien. Ob alt oder neu – wer etwas auf sich hält, fährt Benz. Vermutlich haben wir von jedem Modell, dass jemals hergestellt wurde, mindestens ein noch fahrbereites Exemplar auf unserer Reise durch das Land gesehen.
Gjirokastra liegt im breiten Flusstal des Drino und schmiegt sich an die Hänge des Mali i Gjerë-Gebirges, dessen Gipfel bis zu 2.000 Meter hoch sind. Wir stapfen die Treppen und steilen Wege hinauf bis zu dem Hügel, auf dem die Festung liegt. Von hier oben können wir die Ausmaße der Stadt gut erkennen und wir erhalten einen ersten Eindruck von der Weitläufigkeit des Drino-Flusstales.
Gjirokasta wird auch die „Stadt der tausend Stufen“ genannt und als wir auf der Festung ankommen, wissen unsere Beine auch sehr genau, warum. Nachdem wir durch die dicke Burgmauer gegangen sind, führt ein Gang weiter Richtung Innenhof. In dessen Nischen stehen links und rechts Artilleriegeschosse aus verschiedenen Jahrhunderten. Je länger die Kanonenrohre werden, desto mulmiger wird uns und wir beschleunigen unsere Schritte, um der Düsternis dieses Raumes zu entkommen. Der Kontrast könnte dann wieder einmal nicht größer sein, denn im Burghof steht ein junger Mann und bläst auf seiner Tuba zu den Welthits der 90er Jahre.
Vom Burghof selbst sind nur noch die Randmauern erhalten, von den meisten Gebäuden nur noch die Grundrisse sichtbar. Auf kleineren Grasflächen stehen Mini-Kanonen und die Schilder davor erheitern mich sehr.
Hier haben wir auch wieder eine Legende gefunden. Sie erzählt die Geschichte der Prinzessin Argjiro, der Schwester von Gjin Zenebishi, Herrscher über die Burg, als diese im 15. Jahrhundert von den Ottomanen eingenommen wurde. Da sie sich nicht ergeben wollte, nahm Argjiro ihr Baby, rannte zur Burgmauer und sprang in den Tod. Mysteriöserweise überlebte ihr Baby, denn an der Stelle, auf die Argjiro fiel, sprudelte Milch aus dem Stein und fütterte das Baby. Eine archäologische Besonderheit scheint diese Geschichte zu bestätigen, denn an einer Stelle am Fuß der Burgmauern ist der Kalksteinfelsen bedeckt von weißen Kalzium-Ablagerungen.
Wir nehmen uns Zeit und lassen die Stadt auf uns wirken. Ihre Lage am Rand des Berges und in dem breiten Flusstal beeindruckt uns sehr.
Im Innenhof steht auch das Wrack eines amerikanischen Flugzeuges. Hierzu gibt es zwei Versionen, warum es in Albanien ist: die amerikanische Version ist, dass der Pilot 1957, mitten im kalten Krieg, wegen technischer Schwierigkeiten in Tirana notlanden musste. Bereits kurze Zeit später durfte er zurück in die USA. Das als Trophäe behaltene Flugzeug machte die albanische Propaganda kurzerhand zu einem abgeschossenen Spionageflugzeug und bezeugte so ihre Wehrhaftigkeit.
Auf dem Weg nach unten, kommen wir an Häusern im osmanischen Stil vorbei, die uns sehr gut gefallen.
In der Stadt wurde Enver Hoxha geboren, der mehr als 40 Jahre über die sozialistische Volksrepublik Albanien nahezu diktatorisch geherrscht hat. Er hat diesem Land seinen Stempel aufgedrückt, der an vielen Stellen noch heute gut sichtbar ist. Dazu aber später mehr.
Während in der Neustadt das moderne Leben floriert, geht es in der Altstadt eher beschaulich zu. In den Gassen bieten kleinere Geschäfte vor allem traditionelle Taschen, Stoffe und Souvenirs an.
10. – 12. April 2022