Noch angefüllt von den Eindrücken des Museums bummeln wir durch die Altstadt von Sibiu. Auch hier sind wir auf der Suche nach einem deutschsprachigen Buchladen, um unsere Reiselektüre weiter aufzufüllen.
Die früher überwiegend deutschstämmige Bevölkerung hat seit den siebziger Jahren merklich abgenommen. Die Volkszählung in Sibiu zeigt es deutlich: Noch 1977 waren mehr als 25.000 der rund 150.000 Einwohner deutsch, 1992 lebten bei knapp 170.000 Einwohnern noch etwas mehr als 5.500 Deutsche in der Stadt. Dennoch gibt es in Sibiu noch immer Kindergärten, Grundschulen und Gymnasien, in denen deutsch gesprochen und in deutscher Sprache unterrichtet wird. Seit den 2000er Jahren bringen unter anderem Investoren aus Deutschland und Österreich der Stadt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung.
Auch die mit der Wahl zur europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2007 verbundenen Investitionen, vor allem in die historischen Gebäude, machen Sibiu heute zur einer der schönsten Städte des Landes.
Erstmals urkundlich erwähnt 1191, wurde die Siedlung bereits knapp 50 Jahre zuvor gegründet. Im Laufe ihrer Geschichte gehörte auch Sibiu abwechselnd zu Österreich, Ungarn und Rumänien.
Als wir ankommen, zieht gerade eine Gruppe Stoff-Dinos durch die Straßen. Sie sind Vorboten des jährlich stattfindenden internationalen Theaterfestivals FITS. 2022 kamen rund 3.500 Künstler und Kulturschaffende aus 75 Ländern zu dem zehntägingen Spektakel nach Sibiu. Rund 85.000 Besucher täglich strömten in die Stadt, um sich die unterschiedlichen Aufführungen in den 80 Spielstätten anzuschauen.
Ohne das alles zu wissen, genießen wir in den Gassen der Altstadt die Ruhe vor dem Sturm. Wir beginnen unseren Bummel am großen Ring, biegen aber recht schnell in die kleineren Gassen ab.
Das wir dabei direkt über eines der bekanntesten Wahrzeichen von Sibiu – die Lügenbrücke – laufen, haben wir gar nicht bemerkt. Da das gusseiserne Konstrukt nicht auf Pfeilern ruht, war ihr ursprünglicher Name Liegebrücke. Die Legende besagt, dass bei jeder Flunkerei, die man bei ihrem überqueren erzählt, die Gelenke der Brücke knirschen und knarzen. Wer weitermacht, riskiert es, über das Geländer in die Tiefe gestürzt zu werden. Es brauchte vermutlich nicht viel, um aus „Liege“ „Lüge“ zu machen.
Irgendwann verlieren wir die Orientierung und laufen mal wieder ohne Plan durch die Unterstadt. Die ist nicht ganz so schon hergerichtet wie die Oberstadt, hat aber vielleicht gerade deshalb ihren eigenen Charme.
Durch die zahlreichen Angriffe der Mongolen und Ottomanen wurden um Sibiu zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert nacheinander vier Befestigungsringe errichtet, von denen Teile bis heute noch erhalten sind.
Entlang der Harteneckgasse stehen noch Wehrtürme des dritten Befestigungsrings. Die Türme tragen die Namen der Zünfte, deren Aufgabe es war, sich um den Erhalt und die Verteidigung der Anlage zu kümmern.
Für uns ist es eine der schönsten Ecken Sibius und wir fühlen uns schon ein bisschen in alte Zeiten versetzt.
Und dann finden wir zurück auf den großen Ring mit seinen repräsentativen Häusern. Er ist das historische Zentrum der Stadt, auf dem seit jeher die wichtigen Ereignisse stattfinden. Früher stand hier der Pranger und ein „Narrenhäuschen“, in welchem nächtliche Ruhestörer tagsüber dem Gespött preisgegeben wurden. Auch an großen Veranstaltungen und Hinrichtungen konnte man hier teilnehmen. Heute laufen ganz friedlich die Vorbereitungen für das Theaterfestival.
Am großen Ring finden wir dann auch unsere deutsche Buchhandlung.
In der Stadt schlafen wollen wir nicht. Unsere App zeigt uns einen Ort, der sich gut anhört. Als wir dort ankommen, stehen wir am Feldrand mit Blick ins Tal. Hier verbringen wir einen ruhigen Abend und eine sehr erholsame Nacht.
25. Juni 2022