Am nächsten Tag steht eine ziemlich lange Fahrt an. Ich möchte nach Tofino auf der gegenüberliegenden Seite der Insel. Das bedeutet, rund 300 Kilometer Fahrweg. Könnte mein Wohnmobil fliegen, wäre die Entfernung nur rund 125 Kilometer. Vancouver Island und besonders der Norden ist nicht sehr üppig mit Straßen ausgestattet. Als Verbindung zwischen den beiden Küsten gibt es nur den Pacific Rim Highway Nummer 4. Der beginnt aber ein ganzes Stück südlicher und zu diesem muss ich erst einmal gelangen. Diesmal fahre ich von Campbell River den Panorama-Highway 19 A nach Süden Richtung Qualicum Beach. Dort angekommen biege ich rechts auf den Highway 4 ab, um auf die andere Seite der Insel zu gelangen.
Cathedral Grove
Und passiere wieder die beiden Parkbuchten des Cathedral Grove, die – wer hätte es gedacht – komplett belegt sind. Aber diesmal lasse ich mich nicht davon abhalten. An der Stelle, die ich beim letzten Mal für eine Wende gewählt habe, bleibe ich stehen und fotografiere die dortigen Douglasien. Schließlich ist es ein Wald und der besteht aus mehr als nur den Bäumen entlang des angelegten Spazierwegs aus Holz. Die Große dieser Bäume ist beeindruckend. Einige von ihnen stehen schon seit 800 Jahren an dieser Stelle. Die größten von ihnen haben einen Umfang von 9 Metern. Douglasien-Wälder waren einst weit verbreitet auf Vancouver Island. Doch nach Ankunft der Europäer wurde ein großer Teil von ihnen gerodet. Das erinnert mich an Neuseeland und die Kauri-Bäume.




Als ich mich fürs weiterfahren bereit mache, stehen plötzlich zwei Wohnmobile von Cruise Canada hinter mir. Genau wie ich beim ersten Mal nutzen sie diese kleine Parkbucht zum wenden, um in der „offiziellen“ Parkbucht unterzukommen. Ob ihnen das gelingt weiß ich nicht. Ich fahre in die andere Richtung. Aber mit ihren 10-Meter-Mobilen ist es noch ein bisschen herausfordernder als mit meinem kleinen Camper.
Roomtour
Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt für eine kleine Roomtour durch das Wohnmobil. Es ist mit 6,15 Metern etwa so lang wie Laika zu Hause. Die Breite ist 2,34 Meter, was etwas mehr ist als ich es gewohnt bin. Aber das gleichen die großzügigen Straßen locker wieder aus. Ungewohnt ist der Alkoven, womit wir auf eine Höhe von 3,72 Metern kommen, Das ist auch kein Problem, sämtliche Zufahren sind für höhere Fahrzeuge geeignet. Auch die Bäume auf den Campingplätzen sind auf die Höhe von Alkoven zurechtgeschnitten. Mit meinem Auto gehöre ich eher zu den kleineren Mobilen. Auf vielen Plätzen stehen Dauercamper, bei denen ich oft vermute, dass deren Besitzer sogar in ihnen wohnen. Und die sind selten kleiner als 6 Meter.
Im Inneren gibt es eine Küchenzeile mit einem 3-flammigen Propangas-Herd, einer geräumigen Spüle und mehreren Schränken. Gegenüber ist der Kühlschrank und eine Mikrowelle, die jedoch nur mit Landstrom funktioniert. Sie ist mein Indikator, ob ich das Stromkabel richtig angeschlossen habe. Leuchtet ihre Anzeige, ist alles in Ordnung. Links neben dem Kühlschrank ist ein schmaler Kleiderschrank und darunter Schubfächer. Die darunter liegende Heizung schalte ich fast jeden Morgen nach dem aufwachen an, um die Kälte zu vertreiben und so besser aus dem Schlafsack zu kommen. Das Bad ist sehr klein und beinhaltet ein klitzekleines Waschbecken, eine Toilette und eine Dusche. Da ich täglich auf Campingplätzen übernachte, nutze ich die Dusche nicht. Nur einmal, als ich mich in dem kleinen Kabuff umdrehe, bekomme ich plötzlich eine Ladung Wasser ab. Als ich nach dem ersten Schreck realisiere, dass ich den Wasserhahn aufgedreht habe, muss ich ziemlich lachen. Die Dusche funktioniert also auch. Im Alkoven über dem Fahrerhaus habe ich nur die erste Nacht geschlafen. Danach immer in der zum Bett umgebauten Sitzecke. Und ich danke meinem Schlafsack, dass er mich so gut durch die zum Teil wirklich kühlen Nächte bringt.





Golfen
Auf den 150 Kilometern, die Qualicum Beach im Osten Vancouver Islands und Tofino im Westen verbinden, gibt es zwei Tankstellen in Port Alberni. Laut Tankanzeige schaffe ich die rund 50 Kilometer. Die gegenläufige Strecke von Tofino nach Port Alberni ist doppelt so lang – das wäre spannend geworden.
Als ich in Tofino ankomme, bin ich unschlüssig, ob ich hier wirklich bleiben will. Es scheint alles ziemlich geschäftig, was mich irgendwie überfordert. Ich suche mir eine Alternative und finde ihn auf dem „Long Beach Golf Course“-Golfplatz. Sie haben Schläger und Bälle zum ausleihen. Und ich bekomme sogar einen Wagen, so dass ich den schweren Golfbag nicht schleppen muss. Golfen scheint Volkssport zu sein in Kanada. Jeder Ort hat mindestens einen Golfplatz. Schon auf Grund ihrer Lage und die sie umgebende Natur sind die meisten sehr besonders. Und ich sehe auch immer Menschen auf dem Grün.
Mich ruft es schon eine Weile, hier einmal die Schläger zu schwingen. Golfen in Kanada – das hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Aber es fühlt sich gut an. Also dann, auf gehts.


Ich hab eine Weile nicht gespielt, die Schläger sind schwerer als meine und liegen ungewohnt in meiner Hand. Aber es macht richtig Spaß. Direkt neben dem Golfplatz ist die Start- und Landebahn des Tofino Long Beach Airports. Hierher kann man direkt von Vancouver mit der Pacific Coastline fliegen. In den rund 24 Stunden, die ich dort war, ist kein Flugzeug gestartet oder gelandet. Leider. Das wäre sicher ein schönes Bild geworden.



Die Nacht verbringe ich auf dem Stellplatz direkt am Golfclub. Viel mehr passiert an diesem Abend nicht.
Pacific Rim National Park & First Nations
Am nächsten Morgen sehe ich, dass ich mal wieder in der Tsunami Evakuierungs-Zone übernachtet habe. Zum Glück sehe ich das erst nach dem aufstehen. Aber logisch, ich bin am Pazifik. Das letzte Mal ist mir das in Neuseeland passiert.

Die Küstenlinie zwischen Tofino und Port Renfrew gehört zum Pacific Rim Nationalpark, der aus drei Abschnitten besteht: Long Beach zwischen Tofino und Ucuelet, den zerklüfteten Broken Group Islands und dem West Coast Trail. Ich befinde mich im Abschnitt von Long Beach, dessen lange, breite Strände vor allem Surfer, Windsurfer und Liebhaber von langen Strandspaziergängen anziehen. Entlang des Pacific Rim Highway gibt es ein paar Haltebuchten, die zu einem Teilabschnitt des Long Beach führen. Ich halte am Combers Beach. Und hier finde ich wieder das Kanada, dass viele Berichte und Fotos in meinem Kopf über die Jahre geformt hat. Der rund 500 Meter kurze Weg zum Strand führt durch gemäßigten Regenwald. Überall stehen mit Moosen und Flechten bewachsene Bäume. Und dazwischen dichte Teppiche aus Farnen. Sie sind so dicht, dass ich keine Chance hätte, einen Bären oder Wolf zu sehen, selbst wenn er nur einen Meter von mir entfernt im Unterholz wäre.
Der Nationalpark trägt im Titel noch das Wort Reserve. Das bedeutet, dass der Park auf nachhaltige Weise durch die First Nations genutzt werden darf. Auch in Kanada wurden die indigenen Völker seit der Eroberung durch die Europäer massiv bekämpft, enteignet und ihrer Kultur beraubt. Erst langsam erholen sich beide Seiten von diesem Teil ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Inzwischen gibt es vielerorts größere und kleinere Museen, die nicht nur dazu dienen, über die First Nations zu informieren. Sie sorgen auch dafür, dass sich die Stammesmitglieder mit ihrer Kultur, ihren Traditionen und Bräuchen verbinden und so die Wunden der Zeit langsam heilen können. Natürlich kann ich bei meinem Streifzug durch das Land nicht beurteilen, wie es in den Köpfen und Herzen der Menschen hier tatsächlich aussieht. Aber ich hatte bei der Vorbereitung auf meine Reise die Idee, mich auch mit den First Nations zu beschäftigen. Gelungen ist mir das bisher leider noch nicht. Es gibt zwar überall vor allem Souvenirs mit indigenen Motiven zu kaufen, aber das ist mir noch zu wenig. Das ist ein Grund, warum ich wieder nach BC zurückkehren will.



Als mich der Wald zum Strand entlässt bleibe ich einen Moment einfach nur stehen, um das Bild auf mich wirken zu lassen. Diese vielen herumliegenden Baumstämme, dieser feine Sandstrand, die Gischt, die erst über den Regenwald und dann weiter in die Berge zieht und dazu das rauschen des Meeres bei beginnender Flut. Ich atme tief ein und bin einfach nur sprachlos. Obwohl es neben mir noch einige andere Besucher gibt, ist der Strand so weitläufig, dass dennoch ein Gefühl des Alleinseins aufkommen kann. Obwohl der Vergleich hinkt – wenn ich an die vielen Menschen an den Ostseestränden denke, bin ich hier tatsächlich für mich.



Der Strand am Comber Beach ist noch einmal ganz besonders geschützt. Um brütende Watvögel nicht zu stören, dürfen zwischen April und Oktober keine Hunde an den Strand – auch nicht an der Leine. Hier fließt der Sandhill Creek – ein kleiner Bach – in den Pazifik und formt zusammen mit dem Wind immer neue Landschaften.
Der Pacific Rim Nationalpark ist neben Banff und Jasper einer der am meisten besuchten Parks in Kanada. Das macht den Schutz der Natur noch einmal zu einer ganz besonderen Aufgabe. Und so sind auch die Park-Ranger stetig präsent. Nicht nur hier, auch schon in Banff und Jasper sehe ich Fahrzeuge, in denen vor allem junge Menschen in Ranger-Uniform nach dem rechten sehen. Viele von ihnen werden Studenten sein, die sich in den Sommermonaten etwas dazuverdienen.

Heute kann ich meine Unentschlossenheit so richtig ausleben. Unvorbereitet wie ich bin, habe ich keinen Plan, was ich als nächstes tue und wo ich bleiben will. Schließlich fahre ich nach Ucluelet (sprich Jukulet). Das hatte mir Evi empfohlen, da es um einiges ruhiger sei als Tofino. Hier gibt es einen Wanderweg rund im den dortigen Leuchtturm. Aber wie schon am Cathedral Grove, scheitere ich auch diesmal am geeigneten Parkplatz. Die Plätze sind an sich schon sehr begrenzt und werden für Wohnmobile noch weiter eingeschränkt. Das kann ich zwar prinzipiell gut verstehen, im Moment gefällt es mir aber gar nicht. Ich bin noch in der Nebensaison unterwegs, was zur Hochsaison los ist, möchte ich mir gar nicht vorstellen.

Irgendwann entscheide ich, für den nächsten Tag eine Bärentour zu buchen. Das steht schon lange auf meiner Liste und Ucuelet soll ein ganz guter Ausgangspunkt dafür sein. Am Hafen finde ich Jamies Whaling Station & Adventure Center und betrete das Office. Bärentouren finden aktuell in den Morgenstunden statt. Denn „die Bären kommen während der Ebbe aus den Wäldern, um am Ufer nach Futter zu suchen“, sagt mir der Mann am Tresen. Ich kann wieder wählen zwischen einem überdachten Boot oder dem Zoodiac. Allerdings hat er für den kommenden Tag keinen freien Platz mehr im Boot aber dafür im Zoodiac. Alternativ gibt es noch einen Bootsplatz in Tofino. Nach Tofino möchte ich nicht, das steht fest. Aber mit dem Zoodiac… Mein Gesicht scheint Bände zu sprechen, denn ich werde sofort beruhigt. „Die Fahrt geht die ganze Zeit entlang der Küste“. Das kenne ich schon. „Bären sind schließlich Landtiere. Aufs offene Meer geht es nur ein ganz kleines Stück.“ Ich bin auch ein Landtier denke ich aber andererseits will ich auch unbedingt am nächsten Tag endlich Bären sehen. Ich gebe mir einen Ruck und buche die Tour mit dem Zoodiac für den kommenden Tag.
Danach richte ich mich auf dem Ucluelet-Campground ein, bummle noch etwas durch den kleinen Ort am Pazifik und hole mir einmal fish & chips beim lokalen Food-Truck.








Das Aquarium von Ucluelet besuche ich zwar nicht, aber ich lese, dass es ein sogenanntes „catch and release“-Aquarium ist. Die präsentierten Tiere werden im Frühjahr aus dem Meer gefangen und verbringen die Saison in den Aquarien. Im Herbst werden sie dann wieder ins Meer freigelassen. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich das gut finde und beobachte stattdessen vom Pier aus die Seesterne, die es sich auf den Steinen bequem gemacht haben.