Da ist sie wieder, die Eisenbahn. Nur wenige Meter neben dem Telte-Yet Campground fährt sie über eine Brücke und irgendwo zwischen den Bäumen am Fluss weiter. Gesehen habe ich sie nicht, aber sie war deutlich kürzer als die Bahnen in den Rockies.

Ich habe mir am Abend einen Weißwein gegönnt aus Osoyoos. Die Frau im Cellar hat mich dabei sehr gut beraten: Trocken aber fruchtig wollte ich ihn haben und ich hab genau das bekommen.

Prost

Heute geht es also weiter Richtung Vancouver Island. Nach dem aufwachen räume ich meine sieben Sachen wieder zusammen. Das Bett lasse ich so, ich habe nur die erste Nacht im Alkoven geschlafen, sonst immer unten in der „Essecke“. Ich hab auch nicht täglich umgeräumt, auf den Campingplätzen gibt es an jedem Platz einen Tisch mit Sitzbank und die Feuerschale. Und ich hab großes Glück mit dem Wetter. Wenn es regnete, dann während einer meiner Fahrten oder in der Nacht. Ich konnte immer draußen sitzen.

Der Tank meines RV ist schon wieder leer aber zum Glück ist eine Tankstelle in Hope gleich um die Ecke. Es ist immer wieder eine kleine Herausforderung, das große Gefährt in die manchmal sehr kleinen Tankstellen-Buchten zu lenken. Aber so eng wie in Jasper war es bisher noch nicht wieder. Während ich tanke höre ich, wie der Mann neben mir in seinen Pick-up steigt und den Motor startet. Er hat noch einen Bootsanhänger dran und rollt langsam rückwärts. Fast zeitgleich höre ich es knirschen und knacken. Sofort bremst er und schaut in den Rückspiegel. Er hat den kleinen gelben Wagen neben seinem einfach nicht gesehen und seinen Anhänger direkt in die Fahrertür geschoben. „F*ck, f*ck, f*ck“ ruft er laut und steigt aus dem Wagen. Die Fahrertür des gelben Wagens hat eine dicke Delle, lässt sich aber noch öffnen. Die junge Frau schaut sich das Dilemma an. Ich höre nur Fetzen ihrer Unterhaltung aber ich habe nicht das Gefühl, dass einer von beiden schimpft oder zetert. Alles läuft gesittet ab, man tauscht Nummern aus, lacht sogar und scheint sich ziemlich einig zu sein, was als nächstes passiert. Shit happens.

Der Trans-Canada-Highway führt mich nach Westen. Hier wird es enger, die Orte werden zu Städten und es wird voller und lauter. Wir nähern uns eindeutig dem Speckgürtel von Vancouver. In Abbortfort mache ich auf einem Parkplatz hinter Mc Donalds eine kurze Rast. „Lassen Sie keine Wertsachen im Auto“ warnt ein Schild. Das habe ich auch nicht vor – ich bleibe im Wagen, nur ein bisschen Pause machen vom Gaspedal drücken. In dieser Zeit höre ich zweimal Sirenen heulen. Feuerwehr, Krankenwagen oder Polizei – ich weiß es nicht. Aber mir fällt auf, dass ich das zum letzten Mal in Calgary gehört habe. Und die Sirenen hier sind ähnlich kreischend wie zu Hause. Aber genau das sollen sie ja auch tun – Aufmerksamkeit erregen.

Kurz vor Vancouver habe ich dann auch meinen ersten kanadischen Stau. Und bin wieder sehr nah an der Grenze zur USA.

Business am Highway

Ich fahre auch nur quer durch die Stadt. Der Highway führt direkt durch bis zur Fähre. Hier muss ich ziemlich aufpassen, denn bei den Auf- und Abfahrten können die Autos von beiden Seiten – links wie rechts – kommen, um sich einzufädeln. Ich fahre freiwillig auf die Spur ganz rechts und hänge mich an einen langsam fahrenden Truck. So komme ich ziemlich entspannt durch die 700.000 Einwohner-Stadt. Es reizt mich auch gar nicht, mal einen genaueren Blick zu erhaschen. Städte lassen mich nach wie vor kalt. Zu viele Menschen.

Es ist kurz nach zwei Uhr, als ich am Horseshoe Bay ankomme, von dem aus die Fähre nach Vancouver Island abfährt. Zuerst werde ich von einem Herrn angehalten, der mir sagt „oversized vehicles are always Line Number One“. Wer also mit einem größeren Fahrzeug zu BC-Ferries kommt, kann sich denmach immer gleich in die Linie Nummer 1 stellen. Das merke ich mir für die Rückfahrt. Kurze Zeit später sagt die Frau am Ticketschalter, sie kann nicht versprechen, dass ich schon auf die Fähre um vier Uhr komme, denn „itˋs a busy day today.“ Es könnte auch erst 18.20 Uhr werden. Wer einen Termin hat oder zu einer bestimmten Zeit übersetzten muss, sollte hier reservieren. Das wusste ich zwar, wollte mich aber nicht festlegen. Also reihe ich mich ein in die wartenden Autos, Wohnmobile, Wohnwagen und Trucks und stelle den Motor ab. Dann beginnt das warten.

Immer wieder kommt Bewegung in die Reihen und Autos rollen aus den Linien rechts und links neben mir Richtung Auffahrt. Nur unsere Linie bleibt unbewegt stehen. Bis ich verstehe, dass von diesem Terminal mehrere Orte angefahren werden. Und nicht jeder will nach Nainamo. Den Ort habe ich gewählt. Gegen halb vier geht es dann doch vorwärts. Ich freue mich schon, dass ich die frühere Fähre bekommen werde. Doch zu früh gefreut, genau ein Wohnmobil und ein Wohnwagen vor mir stoppt es.

Jetzt bin ich aber in der besten Position, um der Frau zuzusehen, die die Wagen einweist. Wie eine Dirigentin schickt sie die Autos nach links die Rampe hoch oder nach rechts in den unteren Teil der Fähre. Alle tun, was sie sagt und sie hat sichtlich Spaß an ihrem sehr aktiven Job.

Zum Glück habe ich mein Hörbuch, so vergeht die Wartezeit letztlich doch ganz angenehm. Kurz vor achtzehn Uhr legt die Fähre aus Nainamo an und es dauert sicher 15 Minuten, bis alle Autos von Bord gefahren sind. Die Logistik ist beeindruckend, denn sofort nach dem letzten Wagen setzt sich unsere Reihe in Bewegung. Es geht aufˋs Schiff.

Hier werden wir wieder dirigiert und ich parke meinen kleinen RV zwischen 12 Meter-Wohnmobilen, Trucks und Wohnwagen, die auch ein Tinyhouse sein könnten.

Dann steige ich aus Deck 5 rauf auf Deck 2, wo sich die Sitzbänke, eine kleine Bar, ein Restaurant und ein Souvenirshop befinden. Das ist mir zu wenig und so steige ich eins weiter, hinauf aufˋs Sonnendeck.

Als ich den Fährterminal vom Wasser aus sehe, kann ich es fast nicht glauben, wie klein er ist. Bei der Menge an Verkehr hätte ich ihn mir dreimal größer vorgestellt.

Horseshoe Bay
Vorbei an den Häusern direkt am Meer
Blick auf Vancouver Island

1 Stunde und 45 Minuten später fahre ich auf die Insel. Ich hatte mir zuvor den Campingplatz „Living Forest Oceanside Campground & RV“ ausgesucht, der nur 9 Kilometer vom Fährhafen entfernt liegt. Den steuere ich jetzt an. Es beginnt, langsam zu dunkeln, als ich dort ankomme und mir einen Platz mit Meerblick buche. Ich stehe nicht ganz am Meer aber am Nainamo River, der genau vor meiner Haustür in den Ozean mündet.

Campground in Nainamo

Hier treffe ich Angela und Kevin, die am Fluss den Fischottern beim Abendessen zuschauen. Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass sie etwa in der Mitte von British Columbia wohnen und dieses Jahr mal „Urlaub vor der Haustür“ machen wollten. Für die beiden liegt ihre Haustür rund 800 Kilometer entfernt. „Da fährt man halt mal acht Stunden.“ sagt Angela und ich erwidere: „Fährst du bei uns acht Stunden, bist du einmal längs durchˋs Land gefahren.

Die beiden sind schon eine Woche auf Vancouver Island und ihre Empfehlungen von schönen Orten sind so vielseitig, dass ich jetzt schon glaube, diese 460 Kilometer lange Insel hätte vermutlich allein für drei Wochen gereicht. Irgendwann ist es zu dunkel und wir beschließen, zurück in unsere Wohnmobile zu gehen. Diese beiden haben mir sehr gefallen. Sehr herzlich und sehr aufgeschlossen. Aber das sind die Kanadier hier irgendwie alle. Ich habe noch keinen Brummbär getroffen oder das Gefühl gehabt, ich sei nicht willkommen. Ich werde oft angesprochen und zu einem kurzen Plausch eingeladen. Das sind kurze und knackige aber sehr schöne Begegnungen.