An diesem Morgen begrüßen mich die Waipitis wieder auf ihrer kleinen Runde über den Platz. Als ich ein paar Schritte gehe, um mir das Ausmaß der Zerstörung anzuschauen, traben sie gerade gemächlich zurück in den verbrannten Wald. Vermutlich werden sie am Abend wiederkommen. Wildlife hautnah. Eine Zweckgemeinschaft, weil die Lebensgrundlage zweier Spezies auf ein kleines Fleckchen zusammengeschrumpft ist. Und die Waipitis sind mit Sicherheit nicht die einzigen.



Etwas positives ist jedoch auch hier zu finden: der Campingplatz hat das bisher neueste Sani-Haus auf meiner Reise. Das alte ist sicher verbrannt und musste neu aufgebaut werden. Die meisten Campingplätze hier gibt es vermutlich schon viele Jahre. Und die Einrichtungen unterstützen diesen Eindruck. Vielen haftet der Charme der Neunziger Jahre an, zum Teil lediglich mit Farbe übertüncht. Mein Eindruck ist, dass die Kanadier ihre Geschäfte großteils in ihren Trailern und Wohnmobilen erledigen. Denn obwohl die Campingplätze sehr gut besucht sind, ist das Treiben in den „Washrooms“ eher moderat.
Jasper
Ich fahre kurz rein nach Jasper, denn ich muss tanken. In der Stadt hat möglicherweise die breite Hauptstraße entschieden, ob ein Haus brennt oder nicht. Rechts der vierspurigen Straße sind die Häuser noch da. Von außen unversehrt. Viele haben ein „For Sale“ Schild im Garten stehen. Links sieht es aus wie frisches Bauland. Hier wohnen die Menschen eng beieinander in Tinyhäusern, die an Container erinnern. Das habe ich nicht fotografiert. Es kam mir sensationslüstern vor.

Als ich weiterfahre, komme ich an den Überresten einer ehemaligen Tankstelle vorbei. Die Zapfsäulen sind zum Teil schwarz verkohlt. Schnell verlasse ich die Stadt. Es ist alles irgendwie traurig anzusehen. Dieser tote Wald, diese Überreste eines der größten Nationalparks des Landes. Ich kann hier schnell weg – bin nur auf Besuch und hab durch das Wohnmobil maximale Flexibilität. Aber ich sehe auch eine Gondel, die auf den Hügel nebenan führt. Vielleicht ist für eine Weile der verbrannte Park die neue „Sehenswürdigkeit“ des Ortes.
Nicht weit hinter Jasper wird es wieder grün. Ursprünglich hatte ich überlegt, den Icefields Parkway bis zum Columbia Icefield wieder zurückzufahren. Jetzt entscheide ich spontan, „oben rum“ zu fahren. Erst folge ich dem Highway 16 und biege dann auf die 5 ab Richtung Clearwater. Denn ich hab vom Helmcken Falls gelesen – dem vierthöchsten Wasserfall Kanadas. Er liegt im Wells Gray Provincial Park, der auch als Park der 41 Wasserfälle bekannt ist. Für die Strecke benötige ich einen Tag. Die Landschaft verändert sich. Die schroffen, schneebedeckten und mit Nadelbäumen bewachsenen Berge werden niedriger und Laubbäume mischen sich in den Nadelwald.


Mein erster Stopp ist der Yellowhead Lake. Und ich treffe auf ein Paar, das vermutlich hier übernachtet hat. Mit Blick auf den See lassen sie sich ihre Frühstücksflocken schmecken. In Kanada scheint das freie stehen grundsätzlich erlaubt zu sein. Lediglich in den Nationalparks ist übernachten verboten oder nur an entsprechend gekennzeichneten Stellen oder Campgrounds erlaubt. Es ist wirklich sehr verlockend, einfach mal eine Nacht irgendwo abseits zu stehen. Aber ich habe mich dafür entschieden, die Nächte auf Campingplätzen zu verbringen. Noch traue ich mich nicht, es auch mal anders zu versuchen. Dazu kommt, dass an vielen Stellen „Overnight Stay“ ausdrücklich verboten ist und viele der bei Park4Night eingetragenen Stellplätze direkt am Highway liegen.


Dann erreiche ich den Park, der von einer Straße durchzogen ist, an der sich bewohnte Grundstücke mit Points of Interests abwechseln. Viele davon liegen nah an der Straße, andere wiederum sind ein paar Meter oder Kilometer entfernt. Es ist eine Panorama-Route. Immer wieder gibt der dichte Wald die Sicht frei auf den Fluss und ich bleibe immer wieder stehen, um die Aussicht zu genießen. Eine davon ist der Blick auf das Clearwater Valley. Wie alles in diesem Land ist es riesig. Über Kilometer hat sich der Fluss sein Bett durch das Gestein gegraben. Es wirkt wie ein unbewohntes, unbebautes, riesiges Elbsandsteingebirge.

Auf Wikipedia kann ich lesen, dass diese Gegend vor Ankuft der Siedler von zwei Stämmen der First Nations hart umkämpft wurde. Beide wollten die Wanderroute des Karibus beherrschen. Ab 1870 wurde die Gegend im Auftrag der Canadian Pacifiv Railway auf eine mögliche Erschließung durch die Eisenbahn erkundet. Dies fand 1881 mit der Entdeckung des Kicking Horse Pass ein jähes Ende. Die Entdeckung des Helmcken Falls 1913 lies den Ruf lauter werden, die Gegend zu schützen. 1939 wurde schließlich der Wels Gray Provincial Park gegründet. Ich bin sehr froh, dass mir diesmal die Eisenbahn erspart geblieben ist.

Diesen Tag beende ich auf dem „Helmcken Falls Lodge“ Campground. Ein Eintrag auf Park4Night gab den Impuls. „Hier schaut schon mal ein kleiner Grizzly vorbei“ stand dort. Bei der Anmeldung habe ich zwar das Foto eines Schwarzbären gesehen, der neugierig durch die Eingangstür blickt, einen echten Bären habe ich aber leider hier nicht gesehen. Gerade als ich den Stromstecker anschließen will, sehe ich, dass der Anschluss dafür nicht passt. Ich frage die beiden jungen Männer, die auf der Parzelle gegenüber arbeiten, ob sie mir helfen können. Einer der beiden kommt zu mir und schaut sich die Sache an. Als er den anderen nach einem Adapter fragt, klingelt es bei mir. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wozu ich noch diesen lila Adapter im Auto habe. Heute ist sein Tag. Als ich ihn hole, sagt der junge Mann „ja, das müsste passen.“ auf deutsch und ohne Akzent. Ich bin überrascht und frage ihn, wie er nach Kanada kommt. Er erzählt mir, dass er gerade work and travel mit einer Freundin macht und jetzt eben hier aushilft. Sachen gibts…

Am nächsten Morgen fahre ich dann zum viertgrößten Wasserfall Kanadas. Er ist nicht weit von meiner Unterkunft entfernt und die Strecke hat unterwegs sogar noch eine kleine Sehenswürdigkeit – eine Holzbrücke über den tosenden Murtle River. An einigen Stellen ist das Holz schon ziemlich ramponiert. Ob durch zu breite Fahrzeuge oder durch Wind und Wetter kann ich nicht sagen.

Und dann erreiche ich den vierthöchsten Wasserfall Kanadas. Schon von weitem höre ich ihn und sehe die riesige Wolke aus zerstobenem Wasser. 141 Meter stürzt hier der Mutle River in die Tiefe und hat dabei eine breite Höhle in den Basalt gegraben.

Ich bin ein bisschen reisemüde und mich treibt es an, den Blog endlich taggenau zu schreiben. Dazu fehlen mir noch ein paar Tage. Ich beschließe, mir ein ruhiges Fleckchen direkt am Fluss und möglichst ohne Zug oder Autos zu suchen. Das mit dem Fleckchen hat geklappt. Meine erste Wahl war schön aber leider ohne Internet. Unabdingbar für den Blog. Dies hier ist meine zweite Wahl. Die Autos kamen hier nur vereinzelt aber der Zug fuhr einmal direkt am Flussufer vorbei. Aber irgendwie hab ich mich daran wohl schon gewöhnt.

Dann suche ich mir einen Platz zum übernachten: auf dem Dutch Lake Resort und RV finde ich es dann auch. Auf dem Bild steht mein RV genau hinter einem Busch. Mit seinen 6 Metern ist er kaum zu sehen. Viele der anderen Gefährte könnten sich nicht so leicht verstecken.

Dieser Tag wird mir auch noch wegen etwas anderem in Erinnerung bleiben: ich habe einen Schwarzbären, einen Elch und zwei Weißkopfseeadler gesehen. Der Schwarzbär stand auf einer Wiese neben dem Highway und ich hätte ihn vermutlich nicht bemerkt, wenn nicht ein Auto genau daneben geparkt hätte. Die Elch-Sichtung war noch spektakulärer. Seine dicke Schnute schaute nur ein bisschen am Rand der Straße heraus. Das ich ausgerechnet in diesem Moment nach rechts geblickt und ihn deshalb gesehen habe, grenzt an ein Wunder. Die beiden Weißkopfseeadler habe ich gesehen, weil ich zwei ungewöhnliche weiße Flecken auf einem dicken, abgestorbenen Baum wahrgenommen habe. Für die beiden bin ich sogar einmal umgedreht. Ob die Bilder was geworden sind, erfahre ich vermutlich erst zu Hause. Die beiden anderen Sichtungen sind nur in meinem Kopf.
Danke fürs Schreiben, Claudi – und „mitnehmen“ auf deiner sehr eindrücklichen Reise. Ich freue mich schon auf deinen Reisebericht zu Hause, mit den großen detaillierten Original-Fotos!
See you.
Hey, habe gerade gesehen, dass ich ja den ersten Kommentar auf diesem Blog hinterlassen könnte.
Wünsche dir von Herzen eine wunderbare Reise …