Nach einer sehr ruhigen Nacht, in der nur einzelne Fahrzeuge an uns vorbeifahren, erwachen wir am nächsten Morgen bei bestem Wetter. Erlebten wir in Griechenland und Italien den vermutlich kältesten Winter der letzten 50 Jahre, entschädigt uns der beginnende Sommer nun mit Sonne und warmer Luft. Und mit typisch ländlichem Charme.
Wir beschließen, weiter Richtung Nordmazedonien zu ziehen. Und folgen der Straße, die sich durch ein recht schmales Tal schlängelt. Hier sollten wir den Fahrstil einiger Kosovaren erwähnen, der – sagen wir – sehr dynamisch ist. So wurden wir schon mehrfach Zeugen von riskanten Überholmanövern. Doch heute scheinen sie es besonders eilig zu haben und bringen uns damit aus unserer inneren Mitte. Denn wir müssen nicht nur auf den Verkehr achten, sondern auch auf die Felswände am rechten Straßenrand. Diese beugen sich an einigen Stellen weit über die Straße. Um nicht unsere Markise zu verlieren oder schlimmeres, fahren wir langsam und so oft es geht weit mittig.
Einige Fahrer um uns herum interessiert das alles nicht. Sie drängeln und vollführen riskante Manöver um nicht hinter dem dicken, behäbigen Wohnmobil bleiben zu müssen.
Und es kommt, wie es kommen muss: ein entgegen kommender weißer PKW fährt so weit in unserer Spur, dass Laika von einem heftigen Schlag getroffen wird. Gleich darauf hören wir es scherbeln. Aber rechts ranfahren und nachsehen ist hier nicht möglich. Es gibt keine Abzweigung, keine Nische in den Felswänden. Und so nutzt unsere Fantasie die Zeit und füllt den Schockmoment mit bunten Bildern. Alle möglichen Szenarien machen sich in unseren Köpfen breit: eine eingedrückte, vielleicht sogar offene Seite, Striemen und Kratzer so dick wie Traktorreifen. Gut 15 Minuten dauert es, bis wir endlich anhalten können.
Als wir um Laika herumgehen, sehen wir jedoch nichts. Kein Kratzer, keine Beule – nichts. Einzig der linke Rückspiegel ist eingeklappt. Und als wir ihn wieder aufklappen, hält sich der untere Spiegel mühsam in seiner Umrandung fest. Sonst nichts. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Der andere Fahrer jedoch wird seinen linken Rückspiegel ganz verloren haben. Wie das so glimpflich ausgehen konnte, ist uns ein Rätsel. Aber wir sind unglaublich erleichtert. Und wie schon am Tag zuvor kleben wir auch den Spiegel mit Panzertape fest. So geflickt fahren wir weiter durch die Schlucht gen Süden. Statistisch gesehen sind wir durch mit Unfällen für heute.
Irgendwann weitet sich das Tal und wir atmen durch. Ich glaube, dass war einer der bislang nervenzerrendsten Fahrten dieser Reise. Der nächste Abschnitt entschädigt uns mit üppigem grün.
Und wir kommen wieder an den Denkmälern der UCK vorbei. Wir wissen zu wenig, um uns eine Meinung zu bilden, aber diese Denkmäler erinnern uns daran, dass der Krieg in diesem Land noch keine dreißig Jahre her ist. Immer wieder denke ich darüber nach, wie sich die Menschen hier fühlen. Was haben sie erlebt? Wie kommen sie damit zurecht? Gibt es Hilfe? Die meisten der Menschen, denen wir hier begegnen, werden den Krieg erlebt haben. Selbst Menschen, die jünger sind als wir. Was hat es mit ihnen gemacht?
Und ich erinnere mich zurück an meine Großeltern. Die den zweiten Weltkrieg überlebten und danach irgendwie weitermachen mussten. Viel weiß ich leider nicht von ihrer Geschichte. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, die sie lieber verdrängten.
Der Gedanke an Krieg, Zerstörung und dessen Auswirkungen bis heute wird ab jetzt ein ständiger Begleiter sein. Denn auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien haben sich seit dessen Auflösung sieben Staaten gebildet. Und durch jeden dieser Staaten wird unsere Reise führen.
Unsere letzte Station im Kosovo ist das Restaurant Natyra, auf dessen Parkplatz wir einen kostenfreien Stellplatz finden. Wir suchen uns ganz gezielt auch solche Orte aus. Denn wir mögen es, mal essen zu gehen. Das Restaurant hat einen Swimmingpool, der aber noch nicht mit Wasser gefüllt ist. Als wir den Besitzer fragen, ob wir hier übernachten dürfen, öffnet er uns sogar das hintere Tor, damit wir das WC des Schwimmbades nutzen können. Diese Hilfsbereitschaft finden wir überall auf unserer Reise. Einzig das Schild am Eingang ist etwas irritierend.
13. Mai 2022